Neun Jahre, neun Monate und neun Tage blieb Hürdenspringer Edwin Moses ungeschlagen. Dabei wollte er zunächst Physiker und nicht Olympiasieger werden. Im Interview spricht er über sein erstaunliches Leben, das nun verfilmt wurde.
Auch mit fast 70 Jahren ist er noch ähnlich gelenkig wie früher als Profisportler. Während des Gesprächs mit t-online zieht Edwin Moses sein rechtes Bein im Sitzen auf Schulterhöhe, um zu demonstrieren, dass er damals aufgrund von Wachstumsschmerzen nicht auf hartem Untergrund trainieren konnte. Und auch sonst wirkt der zweimalige Olympiasieger über 400 Meter Hürden, dessen beeindruckende Serie von 122 Siegen in Folge zwischen 1977 und 1987 nun in der Kino-Dokumentation „13 Steps“ verfilmt wurde, so präsent sie zu seiner aktiven Zeit.
t-online: Herr Moses, in der im Dezember angelaufenen Dokumentation über Ihr Leben bezeichnen Sie die 400 Meter Hürden als „Desaster mit Ansage“. Warum?
Edwin Moses: Bei einem 400-Meter-Hürdenrennen kann sehr vieles schief gehen. Das ist die Voraussetzung des Rennens. Bei jeder Hürde hat man einen Absprung- und einen Landungspunkt sowie dazwischen die Zeit in der Luft. Multipliziert man das mit zehn Hürden, gibt es 30 Möglichkeiten, einen Fehler zu machen. Dazu kommt der Start. Es gibt viele Stellen, an denen Dinge außer Kontrolle geraten können.
Außerdem gilt das Rennen als eines der schmerzhaftesten der Leichtathletik – wenn nicht sogar als das schmerzhafteste überhaupt. Wieso haben Sie sich trotzdem dafür entschieden?
Als ich John Akii-Bua (einen Athleten aus Uganda, Anm. d. Red.) bei den Olympischen Spielen in München 1972 mit der Goldmedaille um den Hals sah, wurde er mein Held. Zu der Zeit war ich in der High School. Aber ich hätte nicht im Traum dran gedacht, vier Jahre später selber bei den Olympischen Spielen zu starten (lacht). Es war ein Glückfall für mich, dass ich danach immer besser geworden bin und mich zur richtigen Zeit entwickelt habe.
Nach der Highschool studierte Moses am historisch afroamerikanischen Morehouse College Physik. An der renommierten Universität in Atlanta, an der schon Martin Luther King studiert hatte, herrschte ein starker Zusammenhalt. Damals durften Schwarze in Amerika nicht in Bildungseinrichtungen für Weiße studieren. Deshalb entstanden Hochschulen nur für Schwarze.
Mit Hornbrille und hagerem Körperbau sahen Sie als junger Mann nicht gerade aus wie ein zukünftiger Olympiasieger. Im Film beschreibt sie eine Kommilitonin als „Nerd unter Nerds“, und Regisseur Spike Lee sagt: „Mit seiner Brille und wenn man ihn nicht rennen gesehen hat, war er vielleicht der Einzige, der an seinen Erfolg geglaubt hat“. Woher kam das?
Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht, dass ich erfolgreich sein würde – bis es dann passierte. Am Morehouse College gab es kein großes Leichtathletik-Programm. Es ging einfach darum, rauszugehen und Sport zu treiben. Wenn Du nicht so gut warst, war das auch okay. Es war keine große Sportuniversität mit vielen Coaches und Equipment.
Es war einfach eine außerschulische Aktivität für mich. Ich hatte Spaß am Laufen, war darin ganz gut, aber bei Weitem kein Weltklasseläufer. Dann habe ich mich sehr schnell entwickelt. Eigentlich war das zu dem Zeitpunkt nur meinen Kommilitonen klar, weil sie sahen, wie meine Zeiten besser und besser wurden. Irgendwann habe ich selbst projiziert, wo ich in drei, sechs oder zwölf Wochen sein könnte, wenn die Entwicklung so weitergeht. So habe ich schließlich selbst daran geglaubt, die Qualifikation für die Olympischen Spiele 1976 zu schaffen.
Die Voraussetzungen dafür waren allerdings eher bescheiden. Sie hatten am Morehouse College nicht einmal eine Tartanbahn und haben auf einem Golfplatz trainiert.
Stimmt. An vielen Tagen gab es einfach keine andere Trainingsmöglichkeit. Ich hatte zu Beginn meiner Studienzeit kein Auto und das Stadion war ein Stück entfernt. Einen Bus gab es auch nicht, und wenn ich trainieren wollte und niemand mit einem Auto in der Nähe war, bin ich auf den nahe gelegenen Golfplatz gegangen. Das war das Einfachste (lacht) und auch besser für meine Gelenke. Denn im Stadion hatten wir nur eine Betonbahn und wenn ich dort gelaufen bin, hatte ich starke Beinschmerzen.