Massenselbstmord 1978
Ort des Jonestown-Massakers soll Tourismus-Hotspot werden
13.12.2024 – 11:23 UhrLesedauer: 3 Min.
Das Jonestown-Massaker mit mehr als 900 Toten ist vielen Älteren in Erinnerung. Nun soll der Ort des Massenselbstmords einer Religionsgemeinschaft von Touristen besichtigt werden können.
Fast 45 Jahre nach dem größten Massenselbstmord der jüngeren Geschichte plant Guyana, den Ort des Geschehens für Touristen zu öffnen. Wie die Nachrichtenagentur AP berichtet, soll das ehemalige Gelände der Sekte „Peoples Temple“ im Dschungel Guyanas zu einer Touristenattraktion werden. Am 18. November 1978 starben dort über 900 Anhänger des US-Predigers Jim Jones durch Vergiftung oder Erschießung.
Ein von der Regierung des südamerikanischen Landes unterstützter Touranbieter will Besucher an den Ort des Grauens bringen, berichtet die US-amerikanische Nachrichtenagentur AP. Das Vorhaben ist umstritten. Kritiker sehen darin eine Respektlosigkeit gegenüber den Opfern.
So auch der guyanische Juraprofessor Neville Bissember, er nannte die Idee in einem Offenen Brief „makaber und bizarr“. Bissember weiter: „Welcher Teil des Wesens und der Kultur Guyanas wird an einem Ort repräsentiert, an dem Tod durch Massenselbstmord und andere Gräueltaten und Menschenrechtsverletzungen an einer unterwürfigen Gruppe amerikanischer Bürger begangen wurden, die nichts mit Guyana oder den Guyanern zu tun hatten.“
AP befragte auch eine Überlebende zur Tourismusoffensive. Jordan Vilchez, die damals 14 Jahre alt war, ist zwiegespalten. „Einerseits hat Guyana jedes Recht, von Plänen rund um Jonestown zu profitieren“, sagte die 67-Jährige. „Andererseits finde ich, dass jede Situation, in der Menschen in den Tod manipuliert wurden, mit Respekt behandelt werden sollte.“
Vilchez war am Tag des Massakers nicht im Dorf, sondern in der Hauptstadt Georgetown, als Prediger Jones Hunderten seiner Anhänger befahl, ein mit Zyankali vergiftetes Getränk mit Traubengeschmack zu trinken, das zuerst an Kinder ausgegeben wurde. Die zwei Schwestern von Vilchez und zwei Cousinen waren unter den Opfern. „Ich habe den Tod nur um einen Tag verpasst“, erinnert sie sich.
Tourismusministerin Oneidge Walrond steht laut dem Nachrichtenportal „Caribbeanlife.com“ hinter dem Projekt: „Es hat definitiv meine Unterstützung. Es ist möglich. Schließlich haben wir gesehen, was Ruanda mit dieser schrecklichen Tragödie als Beispiel gemacht hat.“ Und auch die Veranstalter selbst argumentieren, dass es weltweit Beispiele für „Dark Tourism“ (zu Deutsch: Dunkler Tourismus) gebe – etwa das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz oder Prypjat in der Nähe von Tschernobyl, wo 1986 ein Kernreaktor explodierte.
Im Jahr 1974 verließ die Religionsgemeinschaft „Peoples Temple“ unter der Leitung von Jim Jones die USA, um sich in Guyana niederzulassen. Sie suchten dort eine abgelegene, ungestörte Lebensweise, die angeblich auf sozialistischen und gemeinschaftlichen Idealen basieren sollte. Jim Jones, der als charismatischer Prediger begann, wurde später vorgeworfen, seine Anhänger manipuliert, eingeschüchtert und unter unmenschlichen Bedingungen in Jonestown kontrolliert zu haben.
Der Massenselbstmord am 18. November 1978 wurde letztlich durch den Besuch des US-Kongressabgeordneten Leo Ryan ausgelöst, der Berichte über Missstände in Jonestown untersuchen wollte. Nach einem Angriff auf Ryans Delegation, bei dem der Abgeordnete und vier weitere Menschen getötet wurden, befahl Jim Jones seinen Anhängern, sich kollektiv das Leben zu nehmen.
Unter Druck tranken über 900 Menschen, darunter viele Kinder, ein mit Zyankali versetztes Getränk. Einige wurden gezwungen, das Gift einzunehmen, andere wurden erschossen, wenn sie sich widersetzten. Die Leichen der Opfer blieben zunächst vor Ort liegen, bis guyanische Soldaten sie entdeckten, viele in inniger Umarmung, wie es in Augenzeugenberichten heißt. Leslie Mootoo, der erste Arzt vor Ort, berichtete von Hunderten toten Körpern, die sich in fortgeschrittenem Verwesungszustand befanden. Sie wurden später von den US-Behörden geborgen und in die Heimat überführt.