Die Regierung hat das Parlament bei der Gesetzgebung unter Druck gesetzt, weil sie sich selbst kaum einigen konnte, klagte Bärbel Bas bei „Markus Lanz“.
Populismus, Polarisierung, Politikverdrossenheit: Die Demokratie steht in Deutschland ernsthaften Gefahren gegenüber. Vor diesem Hintergrund hatte ZDF-Moderator Markus Lanz am Mittwochabend die Frau mit dem zweithöchsten Amt im Staat, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, in seiner Talksendung zu Gast. Die Sozialdemokratin zeigte sich bei ihrem Auftritt besorgt um die politische Kultur im Parlament und in der Gesellschaft. „Mich beschäftigt das schon länger“, sagte Bas, die seit 2009 Abgeordnete ist. Der Ton der politischen Debatten habe sich seitdem stark verändert. „Es ist aggressiver geworden“, konstatierte die Parlamentschefin.
Die Folge sei, dass viele Menschen sich trotz grundlegender Zustimmung zum System nicht mehr mit den demokratischen Institutionen wie dem Deutschen Bundestag identifizieren könnten. Sie erhalte zahlreiche Bürgerbriefe, in denen diese Distanzierung deutlich zum Ausdruck komme und die Diskussionskultur als respektlos und „schlimmer als im Kindergarten“ kritisiert würde.
„Das finde ich dramatisch. Ich möchte, dass die Menschen die Debatten sehen, dass da die Argumente ausgetauscht werden, dass es auch sichtbar wird, wo die Unterschiede zwischen den Parteien sind. Das ist das, wofür wir da sind“, erklärte Bas, die als Präsidentin für den ordentlichen Ablauf der Bundestagssitzungen verantwortlich ist.
Die SPD-Politikerin machte deutlich, dass sich das Fehlverhalten keineswegs auf ein politisches Lager beschränkt. „Es ist nicht nur die eine Fraktion. Mittlerweile stachelt sich das hoch. Es ist wie eine Spirale, die irgendwie eskaliert. Die einen diskriminieren, die anderen lassen sich das nicht gefallen“, kritisierte sie. Gegenwärtig sei es wirklich sehr anstrengend, die Sitzungen zu leiten. Da nun Bundestagswahlen bevorstünden, sei zu befürchten, dass der Streit noch stärker und härter ausgetragen werde.
Bas erklärte darüber hinaus, dass der Bundestag nicht allein internem Druck ausgesetzt sei. So habe die jüngst geplatzte Regierungskoalition wiederholt versucht, „Gesetze mal eben schnell durchs Parlament“ zu bringen. „Das habe ich für falsch gehalten. Wir haben uns auch nicht die Zeit genommen, anständig zu beraten“, bemängelte die Bundestagspräsidentin.
Als Beispiel führte sie das Heizungsgesetz an. Es habe erst kurz vor dem Torschluss eine Einigung im Kabinett und anschließend nur ganz wenig Zeit für eine Prüfung durch den Bundestag gegeben. Obwohl alle Besserung gelobt hätten, sei es immer wieder zu Versuchen gekommen, schnell Gesetze verabschieden zu lassen. „Das war fast gefühlt ein Dauerzustand“, beschrieb Bas die Situation.
„Daran merkte man einfach, dass es in dieser Koalition schwierig war, eine Einigung zu finden“, erklärte die SPD-Bundestagsabgeordnete. Deshalb habe nach dem Ampel-Aus auch eine gewisse Erleichterung vorgeherrscht. „Es waren dieses Mal drei sehr unterschiedliche Parteien zusammen, und die sind am Ende gescheitert“, urteilte Bas über die gemeinsamen Regierungsjahre von SPD, FDP und Grünen.
Wie kontrovers die Fragen sind, auf die die Politik Antworten finden muss, wurde an Bas‘ zögerlicher Haltung zu einer möglichen Festnahme Benjamin des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in Deutschland deutlich. Der von Deutschland anerkannte Internationale Strafgerichtshof (IOC) hatte kürzlich einen Haftbefehl gegen den israelischen Regierungschef erlassen.
„Ich bin zwiegespalten“, gestand die Sozialdemokratin ein. Einerseits sei Netanjahu „der Repräsentant eines demokratischen Staates, der permanent angegriffen wird“, andererseits verfolge man eine wertebasierte Außenpolitik und müsse doppelte Standards vermeiden. „Da muss man jetzt sehr aufpassen, wie man da agiert“, gab sie zu bedenken.
Als Bundestagsabgeordnete aus Duisburg äußerte sich Bas auch zu den Problemen und dem geplanten Stellenabbau bei Thyssenkrupp Steel. Angesichts der schwierigen Lage brenne in ihrer Heimatstadt, die sich in einem permanenten Strukturwandel befinde, gerade die Luft.
Zugleich warnte Bas davor, sich im Hinblick auf Stahl von anderen Ländern abhängig zu machen, wie es beim Thema Gas in der Vergangenheit mit Russland der Fall gewesen sei. „Das ist ein Werkstoff, den wird man auch in Zukunft noch brauchen“, erklärte sie. „Deshalb muss die Politik jetzt überlegen, wie man dieser Branche helfen kann“, forderte die SPD-Politikerin abschließend.