Gesundheitswesen
Stunde der Wahrheit für die Krankenhausreform
Aktualisiert am 22.11.2024 – 04:30 UhrLesedauer: 4 Min.
Der Name soll Programm sein: „Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz“. Wenn die Länderkammer es billigt, kommt eine Neuordnung der Kliniken – und wenn nicht?
Nach fast zweijährigem Ringen um eine große Krankenhausreform kommt es für Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zur Stunde der Wahrheit: Der Bundesrat entscheidet, ob sein noch von der Ampel-Koalition beschlossenes Gesetz umgesetzt werden kann – oder erst in eine Warteschleife geht, weitere Aussichten dann ziemlich ungewiss. Der Minister spricht von nicht weniger als einer „Revolution“. Die Ziele: weniger Finanzdruck für die Kliniken und mehr Spezialisierung bei komplexeren Eingriffen, die Patienten eine bessere Versorgung bringen soll. Doch gegen die Pläne gibt es bis zuletzt auch viele Widerstände.
Für Lauterbach geht es darum, das vom Bundestag beschlossene Gesetz über die letzte Hürde ins Ziel zu bringen. Zustimmungsbedürftig ist es in der Länderkammer nicht. Sie könnte aber den gemeinsamen Vermittlungsausschuss mit dem Parlament anrufen und die Umsetzung vorerst stoppen. Prinzipiell könnte dann versucht werden, einen Kompromiss zu finden – wegen unklarer Mehrheiten im Bundestag und der Neuwahl am 23. Februar aber unter heiklen Vorzeichen. Lauterbach warnt eindringlich vor einem Scheitern: „Ich glaube, dass wir diese sehr wichtige Reform durchbringen können, müssen und auch werden.“
Deutschland hat nach Experteneinschätzung im Vergleich zu Nachbarländern relativ viele Kliniken – und es gibt seit Jahren schwelende Probleme: Finanznöte, Personalengpässe, und ein Drittel der 480.000 Betten sind laut Gesundheitsministerium nicht belegt. Lauterbach sieht die Reform denn auch als eine Art Notbremse: Ohne Änderungen drohten Klinik-Insolvenzen und nicht optimale Behandlungen. Dabei sei klar, dass Deutschland nicht den medizinischen Bedarf und nicht das Personal für 1.700 Krankenhäuser habe. Ziel sei daher, den wirklich benötigten Häusern eine auskömmliche wirtschaftliche Basis zu sichern.
Das vor 20 Jahren eingeführte Vergütungssystem mit Pauschalen pro Behandlungsfall soll grundlegend geändert werden. Denn es führt laut Lauterbach bisher zu einem „Hamsterrad-Effekt“, möglichst viele Fälle auf möglichst günstige Weise zu erreichen – oder sogar zu Anreizen für medizinisch unnötige Eingriffe. Künftig soll es daher einen festen Sockel von 60 Prozent der Vergütung schon allein dafür geben, dass Kliniken eine Grundausstattung mit Personal und Geräten für bestimmte Leistungen vorhalten. Extra-Vergütungszuschläge geben soll es außerdem für Kliniken mit Kinderheilkunde, Geburtshilfe, Intensiv- und Unfallmedizin, speziellen Schlaganfall-Stationen und Notfallversorgung.
Was sieht die Reform bei der Behandlungsqualität vor?
Die neue Fix-Vergütung soll eine Klinik für „Leistungsgruppen“ bekommen, die ihr das Land zuweist. Sie bilden medizinische Leistungen ab, und zwar präziser gefasst als grob benannte Fachabteilungen. Ausgangspunkt sollen 65 Gruppen sein, die maßgeblich auf ein Modell aus Nordrhein-Westfalen zurückgehen – etwa „OPs an der Wirbelsäule“ oder „Leukämie“. Mit definiert werden jeweils einheitliche Qualitätsvorgaben zu Fachpersonal und Ausstattung. Lauterbach machte wiederholt klar, dabei keine Abstriche zu machen. Denn es soll bewirken, dass etwa Krebsbehandlungen in Kliniken mit Spezialkenntnissen gemacht werden.
Steuern sollen den Wandel die für die Krankenhausplanung zuständigen Länder. Sie könnten etwa sagen, ob es in einer Region zwei oder vier Standorte für Wirbelsäulenchirurgie gebe, erläuterte Lauterbach. Die neue Fix-Vergütung soll auch die Existenz kleinerer Häuser auf dem Land weiter absichern. Die Länder sollen Standorte zudem zu „sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen“ erklären können, die „wohnortnah“ stationäre Behandlung mit ambulanten und pflegerischen Leistungen verbinden. Wo Praxen von Fach- und Hausärzten fehlen, sollen Patienten so künftig für solche Behandlungen auch ins Krankenhaus gehen können. Klinikstandorte wegfallen dürften vor allem in westdeutschen Großstädten.
Das Gesetz sieht auch Finanzspritzen vor. So sollen Kostensteigerungen der Kliniken unter anderem bei den Tariflöhnen aller Beschäftigten schon von diesem Jahr an nicht mehr nur zur Hälfte, sondern voll von den Krankenkassen finanziert werden. Um den Wandel zu den neuen Strukturen zu unterstützen, soll zudem ein „Transformationsfonds“ kommen, aus dem von 2026 bis 2035 bis zu 25 Milliarden Euro fließen könnten – sofern sich Länder in jeweils gleicher Höhe beteiligen. Kommen soll das Geld aus Mitteln der gesetzlichen Kassen und – entsprechend ihrem Anteil an den Behandlungen – der privaten Krankenversicherungen.
Im Entwurf weist das Ministerium auf „Effizienzgewinne und Minderausgaben“ durch eine stärker koordinierte, hochwertigere Versorgung hin. Die Jahresausgaben der gesetzlichen Kassen für Kliniken stiegen zuletzt schon auf 94 Milliarden Euro. Das war ein Drittel aller Leistungsausgaben. Die Kassen unterstützen eine stärkere Spezialisierung für mehr Qualität – warnen aber vor einer weiteren „Kostenlawine“ in einer ohnehin angespannten Finanzlage. Die Kliniken und die Länder fordern denn auch schnellere Finanzspritzen, da manche Häuser die erst in einigen Jahren greifende Reform sonst gar nicht mehr erreichen könnten.