Tagelang herrschte in der SPD eine Hängepartie, nun ist die Entscheidung gefallen: Boris Pistorius verzichtet auf die Kanzlerkandidatur. In einem Video an die Mitglieder fällt ein bemerkenswertes Wort.
Sind die Chaostage der SPD damit vorüber? Seit über einer Woche tobt ein offener Machtkampf um die Frage, wer Kanzlerkandidat der Partei werden soll – der bei den Deutschen unbeliebte Kanzler Olaf Scholz oder Umfragekönig und Verteidigungsminister Boris Pistorius.
Nun ist die Entscheidung gefallen: Pistorius kündigte am Donnerstagabend in einer Videobotschaft an die SPD-Mitglieder seinen Verzicht auf die Kanzlerkandidatur an (Video siehe oben). „Soeben habe ich unserer Partei- und Fraktionsspitze mitgeteilt, dass ich nicht zur Verfügung stehe für die Kandidatur um das Amt des Bundeskanzlers.“
Olaf Scholz sei ein „starker Kanzler“ und der „richtige Kanzlerkandidat“, so Pistorius. Er versichert, das sei seine „souveräne und persönliche Entscheidung“. Damit ist der Weg frei für Kanzler Scholz, sich bei den Neuwahlen am 23. Februar erneut um das Amt des Bundeskanzlers zu bewerben. Am nächsten Montag könnte der SPD-Vorstand Scholz als Kanzlerkandidaten per Beschluss formal krönen.
Der Bundesverteidigungsminister lobt in dem dreiminütigen Video auch die Regierungsarbeit von Scholz auf internationaler Ebene, etwa dass Scholz Deutschland zu einem „verlässlicheren Nato-Bündnispartner“ gemacht habe.
Auffällig ist, dass Pistorius in dem Zusammenhang auch Scholz‘ „Besonnenheit“ positiv erwähnt – eigentlich ein Wahlkampfbegriff aus dem Kanzleramt und dem Friedensflügel der SPD, die damit Einschränkungen bei den deutschen Ukraine-Hilfen begründen. Pistorius vertritt in der Frage eigentlich die Gegenposition.
Die Hinweise, dass Scholz im parteiinternen Kandidatenrennen die Nase vorn haben könnte, verdichteten die vergangenen 24 Stunden. Am Mittwoch gab SPD-Chef Lars Klingbeil in einem „Bild“-Podcast zudem eine klare Andeutung, als er über den anstehenden Wahlkampf sagte: „Es wird die Auseinandersetzung zwischen Scholz und Merz an dieser Stelle sein.“ Scholz kam da wenige Stunden vorher vom G20-Gipfel aus Brasilien zurück.
Noch Anfang der Woche hatten selbst einflussreiche Sozialdemokraten vermutet, das Pendel könnte in Richtung Pistorius ausschlagen. Zahllose Vertreter der Parteibasis, mächtige Abgeordnete und wichtige Landesverbände wie NRW sprachen sich mal mehr, mal weniger offen für den Verteidigungsminister als Kanzlerkandidaten aus. Die Pistorius-Welle in der SPD war in vollem Gange.
Auch Pistorius selbst nährte Spekulationen über einen Kandidatenwechsel, indem er am Montag erklärte, in der Politik sollte man „nie etwas ausschließen“.
Die entscheidenden Akteure allerdings hielten Scholz weiter die Treue. Die Partei- und Fraktionsführung der SPD erklärte mehrheitlich ihre Solidarität mit dem Kanzler, während der vom G20-Treffen in Rio de Janeiro aus der heimischen Revolte zuschaute. Auch bekannte sich kein SPD-Ministerpräsident offen zu Pistorius. Nur vereinzelt gab es vielsagende Äußerungen, wie etwa von Alexander Schweitzer aus Rheinland-Pfalz, die eine Hintertür offenhielten.
Dass die Parteispitze die Debatte überhaupt zuließ, stieß vielen Genossen auf. So sagte SPD-Urgestein Matthias Machnig am Dienstag t-online: „Die SPD kreist um sich selbst. Damit beschädigt sie sich selbst und auch den künftigen Kanzlerkandidaten.“ Die Parteiführung hätte die Debatte gar nicht erst aufkommen lassen dürfen.
Tatsächlich haben die Parteioberen recht spät reagiert: Monatelang wussten die Vorsitzenden Klingbeil und Saskia Esken, dass es in der SPD große Sympathien für Pistorius gibt. Bei jeder Wahlniederlage der letzten Monate wurde das Grummeln in der Partei über den ungeliebten Scholz lauter – es war eine Revolte mit Ansage. Ein Grund für das Warten mag auch darin gelegen haben, dass es in der SPD-Spitze durchaus Zweifel am Kandidaten Scholz gibt.