Bei der EM entfachte die Nationalmannschaft ein neues Feuer in den Fans. Ein Feuer, das wohl auch bis zur WM erhalten bleibt. Denn der Bundestrainer hat dieser Elf etwas Entscheidendes zurückgegeben.
Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass die Nationalelf am Boden lag. Auf ein 2:3 im viel zitierten „Auswärtsspiel“ gegen die Türkei in Berlin folgte im November 2023 ein 0:2 in Österreich. Die Stimmung vor der Heim-EM war am Tiefpunkt. Die Angst vor dem nächsten Aus in der Vorrunde bei einem großen Turnier ging um. Bundestrainer Julian Nagelsmann hinterfragte sich bereits nach vier Spielen. „Schmeiße ich im März alles um und passe es nur noch dem Gegner an?“, fragte er auf der Pressekonferenz nach der „Watschn von Wien“.
Tatsächlich schmiss Nagelsmann einiges um – mit Erfolg. Auf furiose Länderspielsiege gegen Frankreich und die Niederlande im März folgte eine EM, die die Fans in Deutschland begeisterte. Mehr als 26 Millionen Menschen verfolgten das packende Viertelfinale gegen Spanien vor dem TV, feierten die Mannschaft auch nach der dramatischen Niederlage in der Verlängerung. Die Fans und die Nationalelf, sie waren wieder eine Einheit.
Doch sein Meisterstück gelang Nagelsmann, als 20 Millionen Menschen wegsahen und nur jeweils noch etwas mehr als 6 Millionen einschalteten: beim 5:0 gegen Ungarn zum Beispiel im September oder beim 7:0 gegen Bosnien-Herzegowina am vergangenen Samstag. Denn Nationen wie diese waren in den turbulenten Jahren seit der WM 2018 oft Stolpersteine für die DFB-Auswahl. Ein Beispiel: das 1:2 gegen Nordmazedonien im März 2021. Oder beim 0:1 in Polen im Sommer 2023. Siege gegen Tschechien (1:0) oder die Ukraine (2:1) holte Deutschland nur mit Ach und Krach. Das Selbstverständnis einer Nation aus der Weltspitze – es war abhandengekommen.
Julian Nagelsmann hat das Selbstverständnis zurückgebracht, Deutschland wieder zu einer dominanten Mannschaft gemacht, die sich Chance für Chance herausspielt und Ballbesitz zielstrebig nutzt. Daran ändert auch das ausbaufähige 1:1 in Ungarn am Dienstag nichts. Das ineffektive Hin- und Hergepasse der Vergangenheit hat ein Ende. Die Nationalelf tritt gierig auf und tritt auch nach einer 2:0-Führung nicht auf die Bremse.
Julian Nagelsmann mag den Satz „Du musst auch verlieren können“ nicht. „Nein, das muss man nicht“, stellte er am Samstag nach dem Sieg in Freiburg klar: „Du musst akzeptieren können, dass man mal verliert. Aber du musst nicht verlieren können.“ Genau diese Denkweise ist es, die die Mannschaft auf dem Platz ausstrahlt. Sie will unbedingt gewinnen, den Gegner permanent unter Druck setzen, ihn von der ersten bis zur letzten Minute einschnüren. Bosniens Nationaltrainer Sergej Barbarez sprach von „einer der besten Mannschaften der Welt“.
Auch Nagelsmann selbst stellte fest, dass man wieder „näher dran“ an der Weltspitze sei. Der Bundestrainer sprach von „vielen guten Signalen“, die er im Team sehe. Zufrieden oder gar satt ist der 37-Jährige aber nicht. „Wir sind noch nicht fertig und müssen noch einige Schritte gehen“, betonte er.
Denn so souverän und begeisternd die deutsche Nationalelf aktuell auch spielt, entscheidend wird sein, wie sie – eine erfolgreiche Qualifikation vorausgesetzt – bei der Weltmeisterschaft in zwei Jahren in den USA, Mexiko und Kanada auftritt. Den Grundstein dafür haben Trainer und Mannschaft gelegt.