Vereint oder gespalten? Zum Tag der Deutschen Einheit verraten ost- und westdeutsche t-online-Leser, wie sie zur Wiedervereinigung und den Wahlergebnissen im Osten stehen.
Seit 1990 erinnert jährlich der 3. Oktober an die Wiedervereinigung des einst geteilten Deutschland. Nach dreieinhalb Jahrzehnten ist die Deutsche Einheit längst vollzogen und kein Thema mehr, oder etwa nicht? Angesichts der jüngsten Wahlergebnisse stellen sich manche Bürger die Frage, wie geeint die Nation wirklich ist.
Ein Ostdeutscher, der vergangenen Monat seine Stimme bei der aufsehenerregenden Landtagswahl in Thüringen abgab, und eine Westdeutsche, die mit Ostdeutschland fremdelt, berichten von ihren Erfahrungen mit der Wende und wie sie die Wahlergebnisse einschätzen.
„Ich wurde von der ganzen Geschichte, genauso wie die Leute im Osten, ziemlich überrollt“, gesteht Ramona Strankowski. „Ich fragte mich im Nachhinein ganz oft, ob der gewählte Weg richtig war. Denn wir hatten eigentlich keine Zeit, uns vorzubereiten, zu überlegen, wie wir mit der Situation umgehen und uns mit den Folgen auseinanderzusetzen, die ein wiedervereinigtes Land bedeuten.“
Sie gibt zu: „Der Osten war mir fremd und ich war mir gar nicht so sicher, ob ich die Wiedervereinigung überhaupt wollte. Ich fragte mich wirklich, ob es besser gewesen wäre, die alte BRD bestehen zu lassen und daneben einen neuen Staat, demokratisch und losgelöst von der Sowjetunion, zu gründen.“
Ich war mir gar nicht so sicher, ob ich die Wiedervereinigung überhaupt wollte.
Ramona Strankowski, Bochum
Die Bochumerin vermutet, dass Ostdeutsche sich in den alten Parteien nicht wiederfinden und deshalb AfD und BSW so gute Wahlergebnisse erzielten. „Es ist dieses westliche System, von dem sie offensichtlich meinen, es beantwortet ihre Fragen des alltäglichen Lebens nicht. Wenn AfD und BSW die Vertretung des Ostens sein sollen, dann bleibt er mir nach wie vor sehr fremd.“
Das Wahlverhalten ist für sie hochproblematisch: „Im Osten müssen sie verstehen, dass das, was sie im Moment machen, ein Spiel mit dem Feuer ist, das hochgefährlich ist. Es ist wirklich ernst und es geht um die Zukunft unseres ganzen Landes.“ Die 72-Jährige befürchtet, Westdeutschland könne durch starke Populisten mit heruntergezogen werden.
Mit dem Aufbau Ost sei ihrer Meinung nach ein zu großer Fokus auf die neuen Bundesländer gelegt worden. „Es gibt Landesteile im Westen, die sehr schlecht dran sind. Da brauchen wir die Solidarität des Ostens allmählich. Ich würde die Leute gerne mal hierhin einladen. Das Ruhrgebiet geht den Bach runter. Das sehen sie drüben überhaupt nicht. Wir waren solidarisch mit ihnen und haben unseren finanziellen und materiellen Beitrag geleistet. Vor dem Hintergrund ist es ganz besonders bitter, dass man zwar diese Vorteile genommen hat, uns aber jetzt alleinlässt.“
Ramona Strankowski möchte, dass sich die Ostbevölkerung auf die Seite des Westens stellt. „Das ist eine Erwartung, die man allmählich im Westen haben sollte, dass die Menschen im Osten diese Trennungsgeschichte aus dem Kopf kriegen und mit daran arbeiten, dass wir eine gemeinsame Identität entwickeln.“
Wie kann es sein, dass ich Angst davor habe, in den Osten zu fahren – im eigenen Land?
Ramona Strankowski, Bochum
Die Rentnerin verbrachte einige Jahre in Berlin und lernte dort Leute kennen, mit denen sie heute noch verbunden ist. „Aber ich kenne sonst niemanden aus dem Osten. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Einheit nicht gut funktioniert. Ich kenne Leute, die sagen, sie wollen nicht in den Osten fahren. Die haben Angst vor der Radikalität, die da existiert. Die fürchten, angegriffen zu werden. Wie kann es sein, dass ich Angst davor habe, in den Osten zu fahren – im eigenen Land? Wir gehören doch jetzt zusammen. Das ist schwer für mich zu akzeptieren.“
Der Prozess der Wiedervereinigung ist in Ramona Strankowskis Augen nicht abgeschlossen: „Ich glaube nicht, dass es vorbei ist – man sieht das ja. Es gibt noch sehr viele Unterschiede und Dinge, die noch nicht ausgesprochen sind und für die es keine gemeinsamen Lösungen gibt. Da ist noch ein gehöriges Stück Arbeit zu leisten, bis wir tatsächlich zusammenwachsen.“