Bis 2030 soll Obdachlosigkeit beendet sein, so lautet das Ziel der Bundesregierung. Aus Sicht der Wohlfahrtsverbände kann Berlin das nicht mehr erreichen.
Berlin scheitert nach Ansicht von Wohlfahrtsverbänden im Kampf gegen die Obdachlosigkeit. Das Ziel, Obdach- und Wohnungslosigkeit bis 2030 zu beenden, sei sowohl im Bund als auch im Land nicht erreichbar, stellten AWO, Caritas, Diakonie, DRK, Paritätischer Wohlfahrtsverband und Jüdische Gemeinde in einer gemeinsamen Pressekonferenz fest. „Wir werden uns an das Fortdauern der Wohnungslosigkeit gewöhnen müssen“, sagt Ursula Schoen, Direktorin der Diakonie. „Berlin hat an dieser Stelle ein echtes Menschenwürde-Problem.“
Es werde schlimmer, sagt Schoen im „Gitschiner 15“ in Berlin-Kreuzberg, einem Kultur- und Sozialzentrum für Erwachsene, insbesondere solche mit wenig Geld und ohne eigene Wohnung. Dort bekommen Menschen etwas zu essen und zu trinken, können aber auch andere Angebote wahrnehmen und Kontakte knüpfen oder sich aufwärmen. Die am 1. Oktober beginnende Kältehilfe sei nur ein kleiner Teil der Wohnungslosenhilfe. „Die Grundversorgung ist nicht gesichert, ganz besonders für vulnerable Menschen.“ Schoen hat auch die Federführung der Liga Berlin inne, den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege.
Rolf Kellermann hat eine Wohnung, kommt aber von Montag bis Freitag täglich in das Zentrum „Gitschiner 15“. Der 78-Jährige malt, singt und spielt Flöte. Der Kontakt zu anderen sei wichtig, sagt er. Andere kommen zum Musizieren, um die Holz- oder die Nähwerkstatt zu nutzen, sich aufzuwärmen oder sich beraten zu lassen, wie die Leiterin Cornelia Tiez erläutert.
Caritas-Direktorin Ulrike Kostka sagt, es brauche berlinweit mehr Beratungsangebote. „Viele Menschen sind psychisch beeinträchtigt, suchtkrank und obdachlos.“ Seit der Corona-Pandemie habe die sichtbare Straßenobdachlosigkeit zugenommen. Auch der Mangel an zahnmedizinischer und psychiatrischer Versorgung sei ein Problem.
Aus Sicht der Liga Berlin fehlt es vor allem an Geld und einem vom Land gesteuerten Prozess zur Schaffung neuen und bezahlbaren Wohnraums sowie zur Identifizierung und Nutzung leerstehender Wohnungen. Kostka befürchtet, „dass noch mehr der Rotstift angesetzt wird“. Sie sprach von einer „Spirale nach unten“.
„Es ist ganz offensichtlich: Der Schlüssel ist der fehlende Wohnraum“, sagte Kostka. Der Kampf gegen Wohnungslosigkeit müsse an oberster Stelle stehen. Spardruck bestehe im Berliner Haushalt ohne Zweifel, „aber ein massiver Abbau in der Wohnungslosenhilfe und Suchthilfe würde automatisch bedeuten, dass mehr Menschen auf der Straße leben und dort verelenden“. Wohnungslosenhilfe, insbesondere mehr begleitende Angebote und mehr Wohnraum, sind aus Kostkas Sicht auch eine Investition in innere Sicherheit und sozialen Frieden.