AfD und BSW triumphierten bei den Wahlen im Osten. Was ist der Grund? Wut und Hass, sagt Ilko-Sascha Kowalczuk. Im Interview erklärt der Historiker, woher der Zorn stammt.
Die Deutschen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg haben gewählt – und AfD und BSW große Erfolge beschert. Doch warum wenden sich so viele Menschen im Osten Deutschlands diesen Parteien zu? Mit Vernunft habe dies jedenfalls nichts zu tun, sagt Ilko-Sascha Kowalczuk, Historiker und Autor des Buches „Freiheitsschock“. Es gehe um Wut und Hass.
Im Interview warnt Kowalczuk vor den Plänen von AfD und BSW, erklärt, weshalb die Wut im Osten so groß ist und führt aus, warum er die Bundesrepublik Deutschland keineswegs für wehrhaft gegenüber Extremisten hält.
t-online: Herr Kowalczuk, warum sind AfD und BSW im Osten Deutschlands derart erfolgreich?
Ilko-Sascha Kowalczuk: Dafür gibt es keine rational hinreichende Erklärung. Jedenfalls keine, die uns intellektuell oder politisch befriedigen könnte. Die ostdeutschen Bundesländer zählen heute zu den wohlhabendsten Regionen in Europa. Alle Ostdeutschland betreffenden Sozialstatistiken sprechen eine andere Sprache als das, was die politische Stimmung dort ausmacht.
Diese Stimmung wird stattdessen von Wut beherrscht?
Im Osten herrscht reichlich Wut, ja. Es geht also um Emotionen, weniger um Rationalität. Zugegeben, es ist politisch auch viel falsch gelaufen in den letzten Jahren, ein Beispiel ist die völlig vermurkste Kommunikation um das Heizungsgesetz. Notstand bei der Bildung, ein demoliertes Gesundheitswesen, Überalterung und ein Männerüberschuss, das alles sind Probleme in Ostdeutschland. Die Liste lässt sich auch problemlos fortsetzen. Aber nichts davon erklärt, warum die Leute im Osten Extremisten wählen. Die Antwort auf diese Frage lautet vielmehr pure Wut.
Sie zählen AfD und BSW gleichermaßen zu den Extremisten?
Für mich sind AfD und BSW zwei Seiten einer Medaille. Es gibt Unterschiede zwischen beiden Parteien, aber in einem zentralen Punkt ticken sie gleich: Beide wollen zurück in die Vergangenheit. An dieser Stelle beginnt das Irrationale.
Ilko-Sascha Kowalczuk, 1967 in Ost-Berlin geboren, ist Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hamburger Stiftung zur Förderung der Wissenschaften und Kultur. Der Experte für die Geschichte von DDR und Kommunismus veröffentlichte 2023 und 2024 seine zweibändige Biografie von Walter Ulbricht: „Der deutsche Kommunist“ und „Der kommunistische Diktator„. Kürzlich erschien Kowalczuks neuestes Buch „Freiheitsschock. Eine andere Geschichte Ostdeutschlands von 1989 bis heute„.
Ein Zurück in die Vergangenheit ist schlechterdings kaum möglich. Man kann sie nur umdeuten, wie Sie in Ihrem Buch „Freiheitsschock“ schreiben.
Richtig. Gleichwohl beschwören AfD und BSW die Vergangenheit, beide profitieren von der Wut und schüren sie. In Ostdeutschland gibt es ein unglaubliches Wutpotenzial, da macht es keinen Unterschied, ob jemand sozial abgehängt ist oder munter in seinem teuren SUV durch die Landschaft rast. Die Wut ist im Osten ein klassenübergreifendes Phänomen.
Gegen wen richtet sich die Wut?
Gegen den Westen, er wird nicht nur abgelehnt, der Westen wird regelrecht gehasst. Denn er wird für alles, was tatsächlich oder angeblich falsch läuft, haftbar gemacht. Diese Einstellung ist weitverbreitet, sie hat etwa die Hälfte bis zwei Drittel der ostdeutschen Bevölkerung erfasst. Das müssen wir an dieser Stelle einfach mal zur Kenntnis nehmen. Die drei jüngsten Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg sind ein Beleg für diesen Befund: Alle Stimmen für radikale Parteien zusammengerechnet – AfD, BSW, Linkspartei und einige rechtsextreme Parteien – ergeben eine deprimierend hohe Zustimmung zum Extremismus. In ihrer Zielsetzung sind sich diese auch ziemlich einig.
Worin besteht dieses Ziel?
Deutschland soll aus der Nato raus. Das ist das eine Ziel dieser Extremisten, deswegen auch ihre Affinität zur blutrünstigen Diktatur Wladimir Putins. Aber sie teilen ein weiteres Ziel: AfD und BSW streben eine staatsautoritäre Verfassung für Deutschland an. Deswegen sind beide Parteien für mich zwei Seiten der gleichen Medaille.
Die BSW-Chefin Sahra Wagenknecht würde dies von sich weisen.
Das BSW ist doch nicht mal eine demokratische Partei. In Brandenburg hat die Partei zurzeit rund 40 Mitglieder, in Thüringen hatte sie zum Zeitpunkt der Wahl etwa 75. Über jede neue Aufnahme entscheidet Wagenknecht höchstpersönlich. Das BSW steht doch auch für nichts weiter als die Parteichefin. Glauben Sie, dass irgendein Wähler in Thüringen, Sachsen oder Brandenburg etwas mit den Namen der BSW-Kandidaten auf den jeweiligen Stimmzetteln anfangen konnte? Nein, die kennen nur Wagenknecht, die nicht einmal kandidiert hat. Für mich ist das BSW organisiert wie Lenins „Partei neuen Typus“, nicht zufällig, ist doch Wagenknecht eine geschulte Leninistin: Eine strikt zentralistisch, auf eine Figur zugeschnittene Kaderpartei, in der ausschließlich der Wille der Führerin gilt.