Der frühere „Bild“-Chef Julian Reichelt ist seit Kurzem auch geschäftsführender Direktor des krawalligen Internet-Portals „Nius“. Dieses muss nun unangenehme Fragen der Medienaufsicht beantworten.

Das Geständnis unter dem Artikel auf der Seite „Nius“ war peinlich: „In einer ersten Fassung wurden die ARD-Magazine ‚Kontraste‘ und ‚Monitor‘ verwechselt“, stand unter einem Text, in dem das Portal Anschuldigungen gegen den Redaktionsleiter von „Kontraste“, Georg Heil, erhob. Außerdem habe die Redaktion zunächst „geschrieben, eine Anfrage blieb unbeantwortet, obwohl sie nicht verschickt worden war“.

Das Portal hatte eine Skandalgeschichte mit Unterstellungen gegen Heil veröffentlicht, aber vergessen, ihm Fragen dazu zu schicken – und in dem Text ohne dessen Stellungnahme auch noch die Sendungen verwechselt.

Der Text ist seit ein paar Tagen nicht mehr abrufbar. Klar aber ist: Der Artikel dürfte ein neuer Tiefpunkt gewesen sein für den früheren „Bild“-Chefredakteur und heutigen „Nius“-Macher Julian Reichelt – und dazu zeitlich sehr unpassend. Denn Reichelts Online-Portal „nius.de“ ist nach Informationen von t-online auf dem Radar der zuständigen Medienanstalt Berlin-Brandenburg (Mabb) gelandet. Mehrere Beschwerden bei der Anstalt haben die Frage aufgeworfen, in welchem Umfang „Nius“ gegen die journalistische Sorgfaltspflicht verstößt.

Reichelt laut Impressum jetzt Verantwortlicher

Dazu muss man wissen: „Nius“ unterliegt anders als die „Bild“-Zeitung nicht der Selbstregulierung des Presserats. Dieser kann initiativ und auf Leserbeschwerden hin Rügen aussprechen, „Bild“ und ihr damaliger Chef Reichelt lagen in dem unrühmlichen Ranking weit vorne.

Bei „Nius“ aber greifen andere Regeln. Für kommerzielle Angebote mit journalistischen Inhalten, die jahrelang ohne jede Aufsicht agierten, wurde mit dem seit 2020 geltenden Medienstaatsvertrag festgelegt, dass die Landesmedienanstalten die Inhalte auf Einhaltung journalistischer Mindeststandards hin überprüfen können.

Nun steht Reichelt, der nach Vorwürfen des Machtmissbrauchs bei „Bild“ gehen musste, im „Nius“-Impressum als Verantwortlicher: Er ist seit Montag im Handelsregister als ein geschäftsführender Direktor der Vius Management SE eingetragen, der Firma hinter dem Portalbetreiber Vius SE & Co. KGaA.

Anfangs als konservatives Nischenmedium belächelt, hat das Portal in den vergangenen Monaten oft Empörung ausgelöst und dabei auch mehrere einstweilige Verfügungen gegen seine Artikel kassiert. Immer wieder lautet die Kritik an „Nius“ vor allem, durch Weglassen von wichtigen Informationen ein verzerrtes Bild zu zeigen. t-online wollte den „Nius“-Machern Gelegenheit gegeben, ihre eigene Sicht zur Kritik darzustellen. Doch binnen einer Frist von rund 24 Stunden kam keine Antwort, nach einer erneuten Fristverlängerung dann die Mitteilung, nichts sagen zu wollen.

Er mache „Meinungsjournalismus, aber basiert auf Fakten“, erzählte Reichelt kürzlich in einem Interview. „Extrem viel Recherche, extrem viel Beschäftigung“, gehe seinen Beiträgen voraus, sagte er in dem Gespräch der „Weltwoche“ des rechtspopulistischen Schweizer Politikers Roger Köppel. Das heißt für ihn etwa: „Niemand in Deutschland guckt, glaube ich, so viel Baerbock-, Habeck- und Ricarda-Lang-Videos.“

Reichelt: „Linke Sprache in die Luft jagen“

Reichelt wirkt geradezu besessen von den Grünen. Wobei der 43-Jährige die Partei und ihre Angehörigen gar nicht mehr bei ihrem Namen nennt. „Grün“ klinge zu positiv, erläuterte er. Er spricht von „Ökosozialisten“ oder allenfalls von der „Grünen Partei“. Er nennt sie also nicht so, wie sie heißen, sondern so, wie es offenbar besser ins Konzept passt.

Reichelt macht auch kein Geheimnis daraus, dass er für seine politischen Ziele brachiale Mittel wählt. Er habe erkannt, dass man die „linke Sprache der deutschen Medien und Politik in die Luft jagen muss“. Er gebe sich viel Mühe, „die linke Propagandasprache zu dechiffrieren“. Das heißt: Er „übersetzt“, was nach seiner Ansicht gemeint sei – und das wohl auch, wenn es gar nicht so gesagt wurde.

Ein „rechtspopulistisches Agitationsformat mit journalistischem Anstrich“ sieht dagegen der Politikwissenschaftler Markus Linden in dem Angebot von „Nius“. An der Universität Trier forscht der Professor zur Theorie und Empirie der Demokratie, unter anderem beschäftigt er sich mit der Neuen Rechten und der Relevanz sogenannter Alternativmedien. Im Gespräch mit t-online sagt er, er sehe eine Doppelstrategie bei dem Portal: Einerseits „gemäßigte“ Formate mit demokratischen Politikern, andererseits „reißerisch aufgemachte Krawall-Formate, bei denen eine sichtbare Rückbindung an journalistische Sorgfaltspflichten unterbleibt.“

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