Deutschland hat neuesten Berechnungen zufolge bereits mehr CO₂ ausgestoßen, als es das für die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze dürfte. Doch kaum jemanden scheint es zu interessieren.

Manchmal träume ich, dass ich vor einem Haus stehe, bei dem der Dachstuhl brennt. Ich rufe und rufe, um die Bewohnerinnen und Bewohner zu warnen. Das Feuer breitet sich schnell aus und droht bereits, auf das darunterliegende Stockwerk überzugreifen. Eine Frau mit Föhnfrisur öffnet kurz das Fenster, um zu schauen, wer da so rumkrakeelt. Als sie mich sieht, seufzt sie genervt und macht das Fenster wieder zu. Ein Mann mit Aktenkoffer kommt aus der Haustür nebenan, er zuckt mit den Schultern und geht vorbei. Es sei ja nicht sein Haus, zischt er, als ich ihn anspreche, er müsse jetzt zur Arbeit und habe genug andere Probleme.

(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach diesem Motto erklärt die freie Journalistin Sara Schurmann die großen Zusammenhänge und kleinen Details der Klimakrise so, dass jede und jeder sie verstehen kann. Etwa in ihrem Buch „Klartext Klima!“ – und jetzt in ihrer Kolumne bei t-online. Für ihre Arbeit wurde sie 2022 vom „Medium Magazin“ zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt.

Ich stürme in das Gebäude, renne durch die Stockwerke, hämmere an die Türen. Im dritten Stock öffnet ein Mann im Bademantel, mit hinauskommen und das Feuer bekämpfen will er nicht. Er habe sich eine Badewanne eingelassen, das Wasser gerade die perfekte Temperatur, aber wenn er fertig sei, werde er kommen und schauen, ob er sich nützlich machen kann.

Wer hilft? Alle haben Entschuldigungen

Eine Frau um die 60 erklärt mir, sie sei zu alt, um sich mit solch einem Problem zu beschäftigen. Außerdem habe sie eine Feuerschutzversicherung abgeschlossen, sollte der Brand sie wirklich betreffen, sei sie abgesichert.

Eine Tür weiter versichert mir ein Vater mit drei kleinen Kindern, dass er mein Anliegen verstehe und es super fände, dass ich mich so leidenschaftlich darum kümmere. Er selbst müsse jetzt aber die Wäsche aufhängen, mit den Kindern die Hausaufgaben machen und Abendessen kochen. Viel zu tun, das sähe ich ja selbst. Jetzt auch noch das Haus zu verlassen oder gar selbst mit anzupacken, das gehe wirklich nicht. Er wünscht mir Glück und schließt die Tür.

„Das Erdgeschoss ist doch relativ sicher“

Der Mann im Erdgeschoss will wissen, warum ich mir so sicher sei, dass das Feuer gefährlich für die Bewohnenden werden könne. Er sei im Erdgeschoss relativ sicher und das Ganze habe ja auch positive Auswirkungen: Er finde es gar nicht so schlecht, wenn das Dach mal neu gedeckt werde. Außerdem bezweifle er, dass Löschen überhaupt etwas bringen würde. Das Wasser werde im Endeffekt nur die anderen Stockwerke darunter ruinieren. Das solle ich mal bedenken, und nicht so eine Panik machen, gibt er mir mit auf den Weg.

Endlich kommt mir eine junge Bewohnerin entgegen, sie habe meine Rufe gehört und wolle mich gern unterstützen. Sie habe Proviant für mich zusammengepackt, den könne ich sicher gebrauchen, und sie habe noch einen alten Gartenschlauch im Keller, den würde sie jetzt mal suchen gehen. Sollte der kaputt sein, könne sie gern auch einen im Baumarkt besorgen, da wolle sie eh hin, sie sei dann in spätestens zwei Stunden wieder da. Irritiert nehme ich die Plastiktüte mit Müsliriegeln und Snack-Salamis, im nächsten Moment ist sie auch schon im Kelleraufgang verschwunden.

„Machen sie sich keine Sorgen“

Ich ziehe mein Telefon aus der Hosentasche und wähle 112. „Hallo, Feuerwehr hier! Sie wollen einen Brand melden?“ Das sei gut und wichtig, als Feuerwehr sei man da natürlich auch sehr besorgt und würde auch schon an einer Lösung für das Problem arbeiten, versichert man mir. Am anderen Ende der Stadt gebe es ein Pilotprojekt, bei dem automatisierte Drohnen mit kleinen Eimern von selbst ausschwärmen, sobald sie Rauch wahrnehmen. Funktioniert habe das bisher zwar nicht, aber ich solle mir keine Sorgen machen, in drei Jahren sei der Service sicher auch in meinem Viertel zuverlässig einsatzbereit. Der Mann dankt mir nochmals für meinen Anruf und legt auf.

Kein Aufschrei in Sicht

Am Montag hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), der die Bundesregierung berät, seine Berechnungen für das Deutsche CO₂-Budget aktualisiert. Das Ergebnis: Um die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen, ist der faire Anteil Deutschlands schon fast oder sogar vollständig aufgebraucht – je nachdem, mit welcher Wahrscheinlichkeit das Temperaturlimit eingehalten werden soll.

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