Fünf führende deutsche Experten schreiben einen Brief an Kanzler Scholz und die SPD. Sie finden dabei ungewöhnlich deutliche Worte an dessen Ukraine-Kurs.

Es kommt nicht besonders häufig vor, dass aus der eigenen Partei geharnischte Kritik am Führungspersonal öffentlich wird. Im Fall der Ukrainepolitik der Sozialdemokraten prasselt nun aber seit Monaten ein gerütteltes Maß an Unverständnis über den Kurs von Kanzler Olaf Scholz und einigen anderen in der Parteiführung ein.

Vorläufiger Höhepunkt dieser Kritik, die vor allem aus der Opposition, aber auch von Teilen der Koalitionspartner Grüne und FDP kommt, ist ein Brandbrief, den fünf führende deutsche Historiker verfasst und vor wenigen Tagen an den SPD-Vorstand geschickt haben. Die Wissenschaftler betrachten demnach die Positionierung der Kanzlerpartei in Hinblick auf die Ukraine „mit wachsender Sorge“. Demnach sei die Politik der Sozialdemokratie in Hinblick auf Russland willkürlich, schwer nachvollziehbar und inhaltlich falsch. Sie werfen Scholz und seinen Vertrauten mit einem Wort „Appeasement“ vor – also die folgenschwere Schwäche eines Demokraten gegenüber einem autoritären Gewaltherrscher.

Der Brief sorgt innerhalb der Partei offenbar für Unruhe, wie verschiedene Medien nun berichten. So mehren sich wohl inzwischen Stimmen, die sich der deutlichen Kritik der Historiker anschließen. Etwa die von Andreas Schwarz. Der SPD-Verteidigungspolitiker verteidigte die Kanzlerschelte der Wissenschaftler am Donnerstag im „Deutschlandfunk“: „Das muss auch eine Demokratie, das muss auch eine Partei aushalten, dass es unterschiedliche Meinungen zu einer wirklich sehr komplexen Frage gibt“.

„Kommunikation des Kanzlers zu Recht scharf kritisiert“

Die Experten kritisieren Scholz dafür, dass seine Weigerung, der Ukraine etwa weitreichende Taurus-Marschflugkörper zu liefern, im Gegensatz zu seinem häufig wiederholten Bekenntnis stehe, die Ukraine dürfe den Krieg nicht verlieren. „Seine jüngsten Äußerungen und auch die der Parteiführung lassen jedoch die nötige Klarheit und unzweideutige Solidarität vermissen, die daraus eigentlich folgen müsste“, schreiben die Historiker nun. Und weiter: „Die Kommunikation des Kanzlers, der Partei- und der Fraktionsspitzen in Fragen von Waffenlieferungen wird in der Öffentlichkeit zu Recht scharf kritisiert“.

Unterzeichnet haben den Brief prominente Namen ihrer Zunft. Darunter Historiker-Koryphäe Heinrich-August Winkler („Der lange Weg nach Westen“), aber auch Jan C. Behrends von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), Gabriele Lingelbach und Martina Winkler von der Christian-Albrechts-Universität in Kiel sowie Dirk Schumann von der Georg-August-Universität in Göttingen. Alle sind selbst SPD-Mitglieder.

Schwarz kann die Kritik der Wissenschaftler zum Teil nachvollziehen. „Ich glaube, wir sind da vielleicht an der einen oder anderen Stelle noch zu gutgläubig, weil wir einfach seit 89 von der Friedensdividende verwöhnt sind“, sagte er. „Natürlich muss man auch als Deutschland in so eine neue Führungsrolle reinwachsen.“ Man habe 2022 in der SPD einen Paradigmenwechsel etwa beim Thema Waffenlieferungen in Kriegsgebiete vollzogen, der sicherlich noch nachwirke. Manche in der Partei schafften das schneller und andere brauchten ein bisschen mehr Zeit, sich mit den neuen Gegebenheiten in der Welt anzufreunden.

Münkler über Scholz: „Ein schwieriger Mensch“

Der renommierte Politikwissenschaftler und SPD-Mitglied Herfried Münkler hatte bereits vor einigen Wochen ebenfalls deutliche Kritik an der SPD-Spitze geübt. In einem Podcast der „Zeit“ beschrieb er die Sozialdemokratie als traditionell sehr lernfähige Partei. Allerdings befänden sich derzeit an deren Spitze einige, die „notorisch lernunfähig sind“.

Münkler, der bereits mehrere Kanzler sowie den damaligen SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier beriet, kritisierte die Kommunikation seiner Partei und insbesondere das Auftreten des Kanzlers. Auf die Frage, wie er Scholz charakterisieren würde, sagte er: „Ein schwieriger Mensch, der offenbar Erklärungsverweigerung für Politik hält.“

Auch an SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ließ Münkler in Hinblick auf die Positionierung der Sozialdemokraten gegenüber Wladimir Putin kein gutes Haar. So sei es im Bereich der internationalen Politik in der Regel so, dass die Gegenspieler die „Rhythmik des Geschehens“ bestimmten. „Das will Herr Mützenich nicht unbedingt wahrhaben“, sagte der Politikwissenschaftler.

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