Die Berlinale 2024 verabschiedete sich mit einem Antisemitismus-Eklat auf der Bühne und im Netz. Doch ist das Festival auf Instagram wirklich gehackt worden?

Es ist ein Schlachtruf, und er steht für das Ziel der Palästinenser, die Juden aus Israel zu vertreiben: „From the river to the sea“ („vom Fluss bis an das Meer“). Ausgerechnet dieser Spruch stand in einem Posting des Instagram-Accounts der Berlinale, mit dem Bären-Logo der Berlinale. Es war nicht das einzige anti-israelische Posting, das zum Ende der Berlinale über den Kanal veröffentlicht wurde, aber das problematischste.

Die Berlinale distanzierte sich umgehend davon. Der Instagram-Kanal der Berlinale-Sektion Panorama sei „kurzzeitig gehackt“ worden. Die Posts seien sofort gelöscht und eine Untersuchung angestoßen worden. Es handle sich um einen „kriminellen Akt“, den man aufs Schärfste verurteile, untersuche und angezeigt habe.

Doch an dieser Version kommen nun Zweifel auf. Nach Recherchen von t-online organisierten sich Berlinale-Mitarbeiter und -Auftragnehmer, um das Festival zu einer stärker pro-palästinensischen Haltung zu bewegen. Entstanden so auch die Postings im Instagram-Kanal?

Die Posting-Affäre kommt für die Berlinale zur Unzeit; das Festival ist auch wegen seiner Abschlussveranstaltung in die Kritik geraten. Dort hatten sich am Samstagabend etliche Preisträger einseitig israelfeindlich geäußert, beklatscht vom Publikum.

Fragt man bei der Berlinale gezielt zur Posting-Affäre nach, kommt nur eine allgemeine Pressemitteilung. Sie verrät nichts über die Umstände des vorgeblichen Hacks, welche Hinweise es darauf gibt – und ob das Festival eine naheliegendere Erklärung ausschließen kann. Die wäre: Eigene Mitarbeiter könnten das Posting abgesetzt oder die Zugangsdaten weitergegeben haben.

Nach Informationen von t-online hat ein Berlinale-Mitarbeiter, der offenbar mit der Betreuung des entsprechenden Kanals betraut war, bereits vor Beginn der Berlinale einen Aufruf von Berlinale-Beschäftigten für eine stärkere pro-palästinensische Ausrichtung des Festivals unterzeichnet. Der offene Brief ist in einem Instagram-Account von „Berlinale Workers Voice“ verbreitet worden.

Dort hieß es: „Eine internationale Plattform wie die Berlinale und wir in unseren Rollen als Programmgestalter, Berater, Moderatoren (…) sowie weitere Berlinale-Mitarbeiter können und sollten unseren Unmut über die aktuellen Angriffe auf das palästinensische Leben zum Ausdruck bringen.“ Die Unterzeichner sind sehr international. Drei gaben als Jobbeschreibung „Social Media“ an, einer bezeichnet sich als „Protocol Officer“ und „Social Media Manager bei Panorama“.

„Was muss passieren, damit die Berlinale aufsteht?“

Kurz vor Ende der Berlinale hatte sich die Gruppe mit einer anderen namens „Filmworks4pal“, die während der Berlinale demonstriert hatte, für ein Foto mit dem Spruch „Say it! Ceasefire now“ aufgestellt, was übersetzt so viel heißt wie: „Sprecht es aus: Waffenstillstand jetzt!“ Der Text dazu: „Was muss passieren, damit die Berlinale gegen den Genozid aufsteht?“ Auf Anfrage von t-online antworteten weder die Betreiber des Accounts der „Berlinale Workers Voice“ noch der Mann, der angibt, Manager des „Panorama“-Accounts gewesen zu sein. Auch die Berlinale beantwortete keine Fragen zu ihm.

Professionelle Instagram-Accounts, die mit mehreren Konten verknüpft werden, zeigen jedenfalls sofort an, wenn Unautorisierte Zugriff bekommen. Dies wird dann als „unbekannte Anmeldung“ deklariert. Sollte dies der Fall gewesen sein, wüsste es die Berlinale, auch Ort und Zeit des Zugriffs zu solchen Vorgängen sind ermittelbar. Doch auch Fragen dazu lässt die Berlinale unbeantwortet. Dabei könnte sie den Verdacht damit entkräften.

Szenekenner Michael Simon de Normier hält es für „denkbar“, dass Berlinale-Mitarbeiter hinter dem Posting stecken und der Account nicht gehackt wurde. Der Regisseur und Filmemacher hatte den für fünf Oscars nominierten Film „Der Vorleser“ mitproduziert und hat in Berlin nach dem 7. Oktober die Solidaritätsaktion „Berlin Welcomes Jews“ (Berlin heißt Juden willkommen) mit Davidstern-Aufklebern begonnen.

Eine starke pro-palästinensische Haltung und eine solche Aktion würde ihn nicht überraschen: „Warum sollte das auf einer Arbeitsebene anders sein als in der Kulturszene insgesamt, in der das sehr verbreitet ist?“ Die Intendanz habe diese Haltung auch mit der Besetzung der internationalen Jury gezeigt. „Man will politisch sein, das bedeutet meist, kontrovers sein zu wollen“, so de Normier. „Und kontrovers bedeutet in Deutschland möglichst israelkritisch.“

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