Zuhören ist eine Eigenschaft, die gelernt sein will. Wer jemanden braucht, dem er sich anvertrauen kann, der ist im Zuhörraum am Stephansplatz richtig.

Ein stressiger Tag auf der Arbeit, Probleme mit dem Partner oder einfach eine allgemeine Unzufriedenheit – das sind Themen, die manche Münchner im Alltag beschäftigen. Und egal, ob sie einsam sind oder einen großen Freundeskreis haben: Oftmals fehlt ihnen jemand, mit dem sie ihre Gedanken teilen können. Im Zuhörraum am Stephansplatz jedoch sitzt ein Fremder, der einfach zuhört, ohne Rat zu geben oder von sich selbst zu erzählen.

Mitten in der Münchner Innenstadt, am Stephansplatz, steht ein türkisfarbener Wagen aus Holz, auf dem „Zuhörraum“ steht. Viele, die hier an diesem Freitagvormittag vorbeilaufen, sind neugierig, zögern aber, ehe sie einen Blick durchs Fenster wagen. Im Inneren sitzt Barbara Bonisolli.

Von 9 bis 12 Uhr tut sie hier das: zuhören. Eine Kunst, die heute viele Menschen in unserer Gesellschaft verlernt hätten, sagt sie. Vielen falle es schwer, einfach nur zuzuhören und nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit über sich selbst zu sprechen.

„Und natürlich ist es einfacher, einem Fremden seine Probleme zu erzählen.“ Einen Freund oder ein Familienmitglied könnte man mit seinen Problemen belasten, aber vor einer unbeteiligten Person könnten sich viele besser öffnen. „Und dadurch, dass ich die Leute ja nicht kenne, nehme ich ihre Probleme auch nicht mit nach Hause“, sagt Barbara Bonisolli.

Sie ist eine von rund 40 ehrenamtlichen Zuhörerinnen beziehungsweise Zuhörern, die sich für den Verein momo hört zu e. V. engagiert. Sie und ihre Kollegin Beate Strobel sind sich einig, dass es denjenigen, die zu ihnen kommt, oftmals einfach darum geht, wahrgenommen zu werden.

Der Zuhörraum von innen: Hier können die Besucher bei einer Tasse Kaffee über ihre Probleme sprechen. Entweder sitzt man sich gegenüber oder nebeneinander. (Quelle: Sarah Koschinski)

Die beiden wissen aus Erfahrung, dass Zuhören ein Geben und Nehmen ist. „Es ist auch bereichernd, weil man mit unterschiedlichen Themen konfrontiert wird und in fremde Welten eintauchen kann“, erzählt Beate Strobel. Seit rund einem Jahr ist sie als Zuhörerin Teil des Vereins. „Einmal kam jemand zu mir, der Probleme mit Mobbing hatte. Ein anderes Mal war eine ältere Dame hier, die ihren Mann pflegt und niemanden hat, bei dem sie einfach mal jammern kann.“

Strobel war mit der Erwartung ins Ehrenamt gestartet, hier würde sie nur auf einsame Senioren treffen. Aber dem ist nicht so. „Jedes Alter, jedes Geschlecht und jede Nationalität ist hier vertreten“, sind sich Strobel und Bonisolli einig.

Der Zuhörraum, betrieben vom Verein „Momo hört zu“, ist ein Pilotprojekt, das es bisher nur in München gibt. Derzeit sind 40 ehrenamtliche Mitarbeiter am Stephansplatz in München abwechselnd tätig. Dieses Angebot ist für alle kostenfrei. Jeder darf kommen. Der Zuhörraum ist an Werktagen zwischen 12 und 18 Uhr geöffnet.

„Für viele ist es eine Überwindung, sich darauf einzulassen, einem Wildfremden seine Probleme zu erzählen“, so Bonisolli. Und Strobel ergänzt: „Die Leute kommen aber nicht nur mit Problemen, sondern auch mit kleinen Freuden aus dem Alltag.“ Einmal, erzählt Barbara Bonisolli, sei eine Frau zu ihr gekommen und habe ihr erzählt, wie sehr sie sich darüber freue, gerade mit ihrer Tochter ein Brautkleid gekauft zu haben.

Und auch wenn die Ehrenamtlichen am Stephansplatz „nur“ zuhören, tun sie damit schon ziemlich viel. „Die Lösungen schlummern oft schon in den Menschen. Durch das Aussprechen ihrer Probleme nähern sie sich einer Lösung.“



„Die Leute gehen hier anders weg, als sie hergekommen sind – und wir auch.“


Beate Strobel und Barbara Bonisolli


Wer sich also gegenüber einem Fremden öffnen will, kommt in den Zuhörraum und redet. „Wenn du zu bist, kommst du hier nicht rein“, sagt Bonisolli. Und dann gibt es noch diejenigen, die die Zuhörer ein wenig überstrapazieren. Strobel erzählt von einer Person, zu der sie nach zwei Stunden sagen musste, dass sie nicht mehr kann. „Ich hatte einfach keine Energie mehr.“ Trotzdem sei es jedes Mal eine Bereicherung. „Die Leute gehen hier anders weg, als sie hergekommen sind – und wir auch.“

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