Das Jesidentum ist eine faszinierende Religion. Die Gemeinschaft pflegt viele einzigartige Glaubensvorstellungen und Traditionen. Ein Überblick.
Obwohl die Wurzeln des Jesidentums bis 2.000 Jahre vor Christus zurückreichen, ist die Religionsgemeinschaft vielen Menschen in Deutschland weitgehend unbekannt. Dabei leben schätzungsweise mehr als 200.000 Jesidinnen und Jesiden in der Bundesrepublik – die größte Gemeinde außerhalb des Iraks. Wir stellen Ihnen die Perspektive der Jesiden auf das Göttliche und das Leben selbst vor.
Die Jesiden glauben an einen einzigen, allmächtigen und allwissenden Gott („Ezid“), der als Schöpfer des Universums und allen Lebens gilt. Nach der jesidischen Weltentstehung erschuf Gott die Welt aus einer Perle. Anschließend formten sieben heilige Engel aus dieser Perle die Welt mit allen Himmelskörpern.
Eine zentrale Figur im jesidischen Glauben ist der „Engel Pfau“ oder Tausi Melek. Er wird als Oberhaupt von sieben Engeln verehrt und hat eine Art Stellvertreterfunktion Gottes inne. Tausi Melek wird als blauer Pfau dargestellt und dient als Wächter der Welt und Mittler zwischen Gott und den Menschen.
Im Gegensatz zu vielen anderen Religionen kennt das Jesidentum weder ein Paradies noch eine Hölle. Stattdessen glauben Jesiden an die Seelenwanderung und Wiedergeburt (kurdisch: Kiras Guhartin). Nach jesidischer Vorstellung endet das Leben nicht mit dem Tod, sondern die Seele erreicht nach einer Wanderung einen neuen Zustand.
Dieser neue Zustand hängt von den Taten ab, die ein Mensch zu Lebzeiten begangen hat. Jeder Mensch trägt somit die Verantwortung für seine eigenen Handlungen. Interessanterweise spielt in diesem Zusammenhang das Konzept der „Jenseitsgeschwister“ eine Rolle, wobei jeder Jeside eine Jenseitsschwester oder einen Jenseitsbruder hat.
Eine bemerkenswerte Besonderheit des Jesidentums ist die Ablehnung des Dualismus von Gut und Böse. Es gibt im jesidischen Glauben keine Vorstellung von einem Teufel als Widersacher Gottes. Die Existenz eines allmächtigen Wesens neben Gott ist für Jesiden grundsätzlich tabu.
Die Aussprache des Namens des Teufels ist im Jesidentum verboten, da dies als Akzeptanz seiner Existenz angesehen wird und somit einen Verstoß gegen den Glauben darstellt.
Das Jesidentum zeichnet sich durch einige besondere Merkmale aus, die es von anderen Religionen unterscheiden:
Diese strengen Regeln zur Zugehörigkeit haben dazu beigetragen, dass die jesidische Gemeinschaft ihre Traditionen über Jahrtausende bewahren konnte. Gleichzeitig stellen sie die Gemeinschaft vor Herausforderungen in einer zunehmend globalisierten Welt.
Trotz ihrer friedlichen Natur wurden Jesiden im Laufe der Geschichte immer wieder verfolgt, sowohl aus religiösen als auch aus ethnischen Gründen. Besonders tragisch war der Völkermord durch den sogenannten Islamischen Staat im Jahr 2014, bei dem Tausende Jesiden ermordet oder verschleppt wurden.
Doch die jesidische Gemeinschaft hat sich als widerstandsfähig erwiesen. Ein Beispiel dafür ist Nadia Murad, eine Jesidin, die 2018 den Friedensnobelpreis für ihren Einsatz als Menschenrechtsaktivistin erhielt. Ihre Geschichte zeigt, wie aus großem Leid auch Hoffnung und Stärke erwachsen können.