Die deutsche Wirtschaft empfing die neue Ministerin mit offenen Armen. Doch nun rudert Reiche beim Thema Stromsteuer zurück – und erntet erstmals deutliche Kritik.

Es steuert im unruhigen Fahrwasser. Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) hat bei ihrer ersten Regierungsbefragung die deutsche Wirtschaft mit einem Schiff verglichen, das sich auf „stürmischer See“ befindet. Die verschiedenen Krisen und Konflikte auf der Welt würden zwar dazu beitragen, jedoch „der Sturm, der uns am meisten schadet, ist hausgemacht“, so Reiche im Bundestag. Damit meint sie „strukturelle Schwächen“ wie hohe Energiepreise, Lohnnebenkosten und Bürokratie.

Erst am Tag zuvor hatte Reiche für Aufmerksamkeit gesorgt. Beim Tag der Industrie am Dienstag hatte Reiche mitgeteilt, dass anders als im Koalitionsvertrag vorgesehen, die Stromsteuer doch nicht für alle gesenkt werden wird. „Hier trifft dann sozusagen Koalitionsvertrag auf finanzielle Möglichkeit und Wirklichkeit“, begründete Reiche den Schritt. Profitieren sollen nur die Industrie sowie die Land- und Forstwirtschaft. Hier sei der Handlungsbedarf am größten. Verbraucher würden an anderer Stelle entlastet. Reiche betonte bei der Regierungsbefragung, dass weiterhin Entlastungen bei der Gasspeicherumlage von drei Milliarden Euro und bei den Übertragungsnetzentgelten von 6,5 Milliarden Euro geplant seien.

Im Koalitionsvertrag von Union und SPD heißt es zu den Strompreisen allerdings, dass Unternehmen und Verbraucher dauerhaft um mindestens fünf Cent pro Kilowattstunde entlastet werden sollen. „Dafür werden wir als Sofortmaßnahme die Stromsteuer für alle auf das europäische Mindestmaß senken und Umlagen und Netzentgelte reduzieren.“

Seit der überraschenden Ankündigung hat Reiche sowohl bei Unternehmen als auch in der Opposition Kritik ausgelöst. Nun steht nicht nur die deutsche Wirtschaft, sondern auch die Ministerin im Gegenwind.

Aus mehreren Verbänden kam direkt deutliche Kritik. Die Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Ramona Pop, sagte: „Die Entlastung der Menschen bei den Energiepreisen war eines der zentralen Wahlversprechen der Koalitionsparteien.“ Es sei inakzeptabel, dass Verbraucher leer ausgehen sollen.

Die Automobilwirtschaft zeigte sich ebenfalls enttäuscht. Die Präsidentin des Branchenverbands VDA sah darin auch ein Problem für den Hochlauf der E-Mobilität. „Mit Blick auf den heute vorgestellten Haushaltsentwurf bleiben die Entlastungen bei den Strompreisen leider hinter den Erwartungen und den industriepolitischen Notwendigkeiten zurück“, so Müller. Sie forderte deshalb spürbare Nachbesserungen.

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) nannte die Ankündigung einen „Schlag ins Kontor für den Mittelstand“. Die Betriebe hätten sich auf das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag verlassen, so Präsident Jörg Dittrich. Ähnlich lautete auch das Urteil von DIHK-Präsident Peter Adrian. Die deutschen Industrie- und Handelskammern hätten bereits viele empörte Anrufe aus Betrieben bekommen. „Niemand versteht, warum trotz der geplanten Rekordverschuldung diese ohnehin recht kleine, aber sehr wichtige Entlastung nicht möglich sein soll“, so Adrian.

Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung ist zunächst vom Kabinett beschlossen worden, er geht nun in die parlamentarischen Beratungen. Änderungen auch bei der Stromsteuer sind also noch möglich.

Eine schwierige Situation für Reiche. Bisher war sie in Wirtschaftskreisen mit offenen Armen und vielen Vorschusslorbeeren empfangen worden. Immerhin kennt die frühere Westenergie-Vorständin viele Unternehmens- und Verbandsvertreter noch aus ihrer Zeit in der Wirtschaft. Vor allem aus dem Energiesektor gab es reichlich lobende Worte für ihre Ernennung.

Und zunächst sah es auch nach einem guten Start für Reiche aus. Nach zwei Jahren der Rezession verzeichnete die deutsche Wirtschaft ein starkes erstes Quartal. Die Auftritte von Bundeskanzler Friedrich Merz im Ausland kamen bei potenziellen Investoren gut an und die allgemeine Stimmung stieg – Ukrainekrieg, Nahostkonflikt und erratischer Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump zum Trotz.

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