Warum zerstört Hersteller Lindt die eigene Schokolade?

Ihre Schoko-Nikoläuse sind beliebt. Doch der Umgang einiger Lindt-Vertreter mit den Waren wirft nun ein zweifelhaftes Licht auf das Unternehmen.

Es dürften Einzelfälle sein, doch was im Namen des Schokoladenherstellers Lindt in einigen Supermärkten geschieht, verwundert selbst Brancheninsider: Nach Recherchen von t-online kommt es immer wieder vor, dass Angestellte von Lindt im Einzelhandel ihre eigenen Waren zerstören – vermutlich, um Rabattaktionen mit Schokolade kurz vor dem Mindesthaltbarkeitsdatum zu vermeiden und den Absatz zum vollen Preis hoch zu halten.

Dieses Bild jedenfalls zeichnet Ehrenfried Schorn. Er ist Geschäftsleiter von zehn Edeka-Filialen in Nordhessen und einige Tage nach dem jüngsten Besuch des Außendienstes von Lindt & Sprüngli noch immer wütend: “Die haben mit einem Kartonmesser oder einem Kuli sämtliche Schokoladen und Pralinen so aufgeschlitzt, dass nicht nur die Verpackung, sondern auch die Ware zerstört wurde. Alles kaputt”, sagt er am Telefon.

Ein Foto, das seine Mitarbeiter gemacht haben, zeigt eine Schokoladentafel, in die ein tiefes Kreuz eingeritzt ist. “Wie kann man das machen? Lebensmittel einfach so vernichten”, sagt Schorn. Mehr als 25 Produkte seien allein in einem seiner Läden so beschädigt worden, aus anderen Filialen hätten Angestellte von ähnlichen Attacken der Lindt-Vertreter berichtet.

Eine zerstörte Tafel Lindt-Schokolade: In diesem Zustand lässt sich die Ware weder zu einem Rabattpreis verkaufen, noch spenden oder verschenken. (Quelle: Ehrenfried Schorn)

Dabei hatten der Edeka-Geschäftsleiter und seine Teams genau das umgesetzt, was das Bundesministerium für Umwelt und Verbraucherschutz fordert: Weniger Lebensmittel sollen in der Mülltonne landen, mehr Essen soll gerettet werden. Das Ziel der Politik: Bis 2030 soll sich die Lebensmittelverschwendung im deutschen Einzelhandel halbieren.

Zwar sind Supermärkte derzeit nur für sieben Prozent der Verschwendung verantwortlich, während knapp zwei Drittel aller weggeworfenen Nahrungsmittel im Müll von Privathaushalten zu finden sind. Doch es ließe sich offensichtlich mehr tun. Beispielsweise im Schokoladenregal.

“Das hat mich maßlos wütend gemacht”

“Wenn die Außendienstler von Lindt & Sprüngli bei uns Produkte kurz vor dem Mindesthaltbarkeitsdatum aussortiert haben, haben wir sie bislang danach stark reduziert verkauft oder an die Tafel gespendet”, sagt Schorn. Denn die Firma übernimmt das Regalmanagement in den Filialen selbst: Regelmäßig kontrolliert der Außendienst die Ware, mustert aus, füllt auf, schreibt die aussortierte Schokolade gut, aber lässt sie zurück – bis vor Kurzem intakt. Das habe sich geändert.

Laut Schorn haben ihm die Außendienstler mitgeteilt, Lindt wolle nicht, dass die Waren bis zum Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) oder auch noch nach dessen Ablauf verkauft werden – man sei ja in der Verantwortung für die Gesundheit der Kunden. Schorn versteht das nicht. “Die Verantwortung geht doch auf uns über”, sagt er.

Juristisch gesehen hat er recht: Im Zweifelsfall haftet in Deutschland derjenige, der ein Lebensmittel nach Verstreichen des MHD noch in Umlauf bringt – nicht, wer es hergestellt hat. “Das ist bei denen aber auf taube Ohren gestoßen”, sagt Schorn. Beim nächsten Besuch habe man dann die Kartonmesser gezückt. “Das hat mich maßlos wütend gemacht.”

Ehrenfried Schorn ist Geschäftsleiter des Edeka-Filialverbunds Hessenring in Bad Hersfeld. Das Verhalten des Außendienstes von Lindt & Sprüngli kann er nicht verstehen.
Ehrenfried Schorn ist Geschäftsleiter des Edeka-Filialverbunds Hessenring in und um Bad Hersfeld. Das Verhalten des Außendienstes von Lindt & Sprüngli kann er nicht verstehen. (Quelle: privat)

Einerseits ist Schorn sauer wegen der sinnlosen Zerstörung von Lebensmitteln. Andererseits, so sagt er, weil es sich um sein von Lindt gekauftes Eigentum handle, das die Vertreter zerstörten – auch wenn er für diese Ware finanziell entschädigt wird.

“Im Endeffekt ist das Sachbeschädigung”

So sieht es auch Ina Gerstberger. Sie ist Anwältin und auf Produktrecht spezialisiert und sagt: “Natürlich ist das seine Ware, er hat sie erworben.” Auf dem Gelände des Supermarktes seien die Lindt-Produkte außerdem auch in der “Besitzsphäre der Geschäftsleitung”.

Das heißt: Schorn als Chef des Ladens habe dort “die Verfügungsgewalt über die Produkte”. “Da kann niemand kommen und einfach sagen: Die Ware mache ich jetzt kaputt.”

Gerstberger kennt sich aus in der Lebensmittelbranche, sie hat bereits viele Klienten aus dem Bereich vertreten. Ein Fall wie dieser ist allerdings auch ihr noch nicht untergekommen. “Im Endeffekt ist das Sachbeschädigung”, sagt sie – außer es gäbe Verträge mit Lindt, die explizit ausschlössen, dass Schokoladen oder Pralinen ab dem Mindesthaltbarkeitsdatum günstiger verkauft oder gespendet werden.

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