“Dieses Drama hätte man sich sparen können”: Wirtschaftsweiser kritisiert Haushaltsstreit der Ampel

Bundeswehr, Kindergrundsicherung, Flüchtlingskosten – die Ampel zofft sich ums Geld. Der Wirtschaftsweise Achim Truger findet: Das wäre vermeidbar gewesen.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) geht das Geld aus. Sagt er zumindest. Laut der jüngsten Steuerschätzung fallen die Einnahmen des Fiskus ab 2024 um jährlich 30 Milliarden Euro geringer aus, als noch im Herbst angenommen.

Einer, der Lindner diese Erzählung nicht ganz abkauft, ist der Ökonom Achim Truger, der als einer der fünf “Wirtschaftsweisen” die Bundesregierung in volkswirtschaftlichen Fragen berät. Truger, der in seiner Zunft eher dem linken, gewerkschaftsnahen Lager zugeordnet wird, hält manchen Streit um den Staatshaushalt für “unwürdig” – und erwartet für den Herbst doch noch mehr Steuereinkünfte, wie er im Interview mit t-online erklärt.

t-online: Herr Truger, in den nächsten fünf Jahren nimmt der Fiskus 150 Milliarden Euro weniger ein als gedacht. Müssen wir jetzt sparen, bis es quietscht?

Achim Truger: Nein, das müssen wir sicher nicht. Es wäre genug Geld da, wir müssten es nur richtig anstellen.

Das klingt bei Finanzminister Christian Lindner aber anders.

Das stimmt. Herr Lindner inszeniert sich mit der Steuerschätzung sehr professionell. Er stellt die Ergebnisse so dar, als sei er der strenge Kassenwart, der nun alle zum Sparen ermahnen muss. Dabei ist das, was er gerade vorgestellt hat, eigentlich gar keine Überraschung: Die rund 30 Milliarden Euro pro Jahr, die gegenüber der Schätzung vom letzten Herbst fehlen, gehen nämlich fast allein auf den Inflationsausgleich, also die Senkung der Einkommensteuer zurück, die erst dieses Jahr wirksam wurde. Dieses Finanzloch kam also mit Ansage.

Mit der Anpassung der Einkommenssteuertarife will die Ampelregierung verhindern, dass sich der Staat an der Inflation bereichert. Ist das denn nicht gut und richtig so?

Auf den ersten Blick ja, auf den zweiten aber würde ich sagen: Der steuerliche Inflationsausgleich war ein Fehler.

Ökonom Achim Truger: “Ich setze gar keinen Rotstift an.” (Quelle: IMAGO)

Weil wir jetzt eine Diskussion über den Staatshaushalt führen, die so nicht hätte sein müssen. Das unwürdige Gezänk um die Kindergrundsicherung oder um weiteres Geld für die Kommunen zur Finanzierung der vielen Geflüchteten – dieses Drama hätte man sich sparen können. Mich ärgert daran aber auch noch etwas anderes.

Der steuerliche Inflationsausgleich kommt vor allem den Reicheren in der Gesellschaft zugute. Es wäre viel besser gewesen, einfach nur den Grundfreibetrag anzuheben, statt auch weiter oben in der Einkommensverteilung die Tarifwerte anzupassen.

Nun ist all das aber beschlossene Sache, das Loch im Haushalt, je nach Rechnung zwischen 14 und 18 Milliarden Euro im kommenden Jahr, ist da. Wie lässt es sich stopfen?

Indem wir uns zum Beispiel allein in diesem Jahr nicht so an die Schuldenbremse geklammert hätten.

Klar, dass Sie das jetzt sagen.

Weil es eben aber auch so ist. Dadurch werden dieses Jahr rund 40 Milliarden Euro Rücklagen verschossen, nur weil man – trotz der wirtschaftlichen Ausnahmesituation – nicht mehr Kredite aufnehmen wollte. Das war voreilig. Wir hätten durchaus mehr Schulden machen können, die EU-Kommission hat auch die allgemeine Ausnahme von den Schuldenregeln ausgerufen.


Quotation Mark


Die steigenden Zinsen sind natürlich auch für den Staat eine Belastung.


Achim Truger


Aber hätten wir die Schuldenbremsendiskussion dann nicht einfach im nächsten Jahr geführt?

Das mag sein. Allerdings hätten wir dann die Fiskalklippe im kommenden Jahr leichter umschiffen können. Dann wäre der Übergang von der akuten Krise hin zu einer dann neuen Normalität leichter gefallen.

Blicken wir nach vorn: Kindergrundsicherung, Bundeswehr, Heizungsförderung – wo würden Sie jetzt den Rotstift ansetzen?

Ich setze gar keinen Rotstift an. Das ist nicht meine Aufgabe und das will ich auch gar nicht. Denn mir fehlen ja, wie allen anderen auch, verlässliche Zahlen sowie Vorschläge und Eckwerte für den Haushalt. Das ist ja überhaupt der größte Witz bei der Sache.

Diejenigen, die immer wieder die finanzpolitische Solidität beschwören, meinen damit immer nur, dass andere ihre Ausgaben und Wünsche priorisieren sollen. Wo ist denn der konkrete Priorisierungsvorschlag aus dem Finanzministerium? Warum liegt da nicht längst etwas vor? Das, finde ich, ist kein vernünftiger Ansatz.

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