Zuletzt sah es so aus, als hätte die deutsche Automobilindustrie die Krisenjahre überstanden. Doch wichtige Fragen bleiben ungeklärt – teils zum Vorteil der Kunden.
Erst Corona, dann der russische Überfall auf die Ukraine: Die Autoindustrie hatte in den vergangenen Jahren mit reichlich Problemen zu kämpfen. Fehlende Kabelbäume und Mikrochips, unterbrochene Lieferketten, geringere Absätze – auf ein schwaches Jahr 2021 folgte zuletzt ein ähnlich schwieriges 2022.
Jetzt aber scheint sich die Situation zu bessern. Die Bänder rollen wieder, die Halbleiter sind da, die Auftragsbücher voll. Kann Deutschlands wichtigste Branche (Jahresumsatz: 411 Milliarden Euro, rund 786.000 Beschäftigte) also endlich aufatmen? Werden VW, BMW, Daimler und ihre Zulieferer wieder zum Motor der deutschen Wirtschaft?
Hildegard Müller, Präsidentin des mächtigen Verbands der Automobilindustrie (VdA), dämpfte diese Woche die Erwartungen. Sie sieht ein weiteres schwieriges Jahr auf ihre Branche zukommen. So rechnet der VdA für 2023 mit rund 2,7 Millionen Neuzulassungen in Deutschland. Das wären zwar rund zwei Prozent mehr als im vergangenen Jahr – aber ein Viertel weniger als im Vorkrisenjahr 2019.
Bareiß: Gipfel war “Etikettenschwindel”
Ihr Credo: Die Politik muss günstige Bedingungen für den Produktionsstandort Deutschland schaffen, wie sie am Dienstag auch beim Mobilitätsgipfel mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) sagte.
Darum aber ging es dort offenbar kaum. Standortfragen standen nicht einmal auf der Agenda, wie im Nachgang der Oppositionspolitiker Thomas Bareiß kritisierte: “Es fehlt klarer Rückhalt für den Automobilstandort Deutschland und die verunsicherten Beschäftigten der Automobil- und Zulieferbranche”, sagt er t-online. Der Gipfel sei ein “Etikettenschwindel” gewesen.
Wichtige Fragen – etwa zu Batteriezellfertigung, eigener Chipproduktion und synthetischen Kraftstoffen – seien weiterhin ungelöst. Gerade in einem erstarkenden Wettbewerb mit den USA und Asien brauche es “klare Zielsetzung, Wettbewerbsfähigkeit, Technologieanreize und Lieferkettenunabhängigkeit”. “Davon ist in den letzten Monaten wenig zu erkennen”, so Bareiß weiter.
Nun ist Kritik aus der Opposition an der Ampelkoalition ganz normal. Und doch: Wer sich eingehend mit der Autobranche beschäftigt, stellt fest, dass es weiterhin viele Herausforderungen gibt. Besonders drei Fragen drängen – an ihnen hängt das Wohl und Wehe der Automobilindustrie und damit der deutschen Wirtschaft.
Wie werden die Lieferketten sicherer?
Wie anfällig die Lieferketten deutscher Unternehmen sind, haben die vergangenen zwei Jahre bewiesen. Mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine entfiel plötzlich ein wichtiger Standort zur Produktion von Kabelbäumen (t-online berichtete). Alternativen waren kurzfristig kaum möglich.
Zuvor hatten die weltweiten Corona-Lockdowns für Produktionsstillstände und Probleme in der Logistik gesorgt. Vor allem in China, dem wichtigsten Standort für die Halbleiterproduktion, verfolgte die Regierung lange Zeit eine rigide Corona-Politik. Durch krankheitsbedingte Ausfälle kam es zudem an wichtigen Häfen zu Unterbrechungen und in der Folge zu stockenden Abläufen in deutschen Fabriken.
Im Jahr 2019 wurden in Deutschland noch 4,7 Millionen Autos produziert, 2021 waren es 3,1 Millionen. Für 2023 wird mit 3,7 Millionen gerechnet. Im Ausland produzierten deutsche Konzerne zudem im Jahr 2019 11,4 Millionen Fahrzeuge. 2021 fiel dieser Wert auf 9,4 Millionen. Für das laufende Jahr rechnet die Branche mit 10,3 Millionen Neuwagen.
Auch die weltweiten Absatzzahlen sanken spürbar. Während 2019 noch 80,6 Millionen Autos verkauft wurden, waren es in den vergangenen zwei Jahren jeweils 71,3 Millionen. Für 2023 rechnet der VdA mit 74 Millionen – ein Zuwachs von vier Prozent zum Vorjahr, aber noch deutlich unter Vorkrisenniveau.
Rabatte für Kunden möglich
Mittlerweile haben sich die Lieferketten wieder stabilisiert. Das sei aber noch kein Grund für Euphorie, mahnt Müller. Der Hochlauf bei den Halbleitern werde noch einige Zeit in Anspruch nehmen, der Ausbau von Fabriken andauern. Aus VW-Kreisen hingegen heißt es: “Aktuell stehen noch 1,9 Millionen Fahrzeuge in den Büchern.”