Die FDP kämpft um ihre politische Existenz – und braucht dafür einen Chef, der auf den Langzeitvorsitzenden Christian Lindner folgt. Nach einigem Hin und Her scheint nun alles auf eine Person hinauszulaufen.
Sie haben gezittert bis zum Schluss, dann aber war das Ergebnis doch sehr deutlich: Lediglich 4,3 Prozent der Stimmen hat die FDP bei der vorgezogenen Bundestagswahl geholt, so wenig wie nie zuvor – und viel zu wenig, um den Wiedereinzug ins Parlament zu schaffen. Im Oktober noch Regierungspartei, plötzlich politisches Niemandsland, außerparlamentarische Opposition (Apo).
Genau zwei Wochen ist das jetzt her. Seitdem diskutiert die Partei: Woran lag’s? Wie müssen wir uns programmatisch ausrichten, damit wir eine reelle Überlebenschance haben? Und vor allem: Wer organisiert den Neuanfang, wer wird unser neuer Anführer, jetzt da „CL“ weg ist?
CL, also Christian Lindner, hatte noch am Wahlabend seinen Rückzug erklärt. Nach mehr als elf Jahren an der Spitze der Partei beendet er seine politische Karriere, künftig will er ganz „Privatmann“ sein, wie er tags drauf erklärte.
Schnell kursierten in der Partei erste Namen möglicher Nachfolger. Vor allem der von Marie-Agnes Strack-Zimmermann wurde häufig genannt, weil sie im Europaparlament als eine der wenigen noch ein Abgeordnetenmandat hat und damit nicht nur Sichtbarkeit, sondern auch Einkünfte aus der politischen Arbeit. Zudem hatte Strack-Zimmermann bei der Europawahl bewiesen, dass sie mit markigen Sprüchen und einem resoluten Auftreten mehr als fünf Prozent der Wähler überzeugen kann.
Allein: Die 66-Jährige, die viele zum progressiven, sozialliberalen Flügel der FDP zählen, polarisiert, und das nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in der Partei. Vor allem im eher konservativen wirtschaftsliberalen Flügel halten sie nicht wenige für ungeeignet – weshalb sich viele freuten, als am Tag nach der Wahl Wolfgang Kubicki, 72, seinen noch am Wahlabend erklärten Rückzug aus der Politik zurückzog: Auch er erwäge nun eine Kandidatur für den Spitzenposten, sagte er der „Bild“-Zeitung.
Kubicki ist wie Strack-Zimmermann ein Lautsprecher in der FDP. Er haut gern mal einen raus, sorgt immer wieder mit steilen Aussagen für Schlagzeilen. Anders als Strack-Zimmermann gilt Kubicki dabei aber als Vertreter des konservativen Flügels der FDP. Die einen sagen ihm nach, er habe seinen Hut nur deshalb in den Ring geworfen, um sie zu verhindern. Andere in der Partei halten ihm ein großes Verantwortungsbewusstsein zugute: Nachdem mit Konstantin Kuhle und Johannes Vogel zwei der oft als Lindner-Nachfolger gehandelten Jüngeren erklärt hatten, dass sie nicht zur Verfügung stünden, habe Kubicki sich berufen gefühlt, sich doch noch einmal in den Dienst der Partei zu stellen.
Kubicki? Strack-Zimmermann? Nachdem der erste Schock über den verpassten Wiedereinzug verflogen war, rieben sich viele in der FDP die Augen. Die beiden sind bereits im Rentenalter. Ein echter, frischer Neuanfang sieht anders aus, fanden viele. Und auch Strack-Zimmermann selbst deutete zunächst im t-online-Interview an, was sie Ende dieser Woche dann sehr deutlich sagte: Die Parteispitze gehöre in jüngere Hände, zudem sei der Vorsitz mit ihrer Aufgabe als Chefin des Verteidigungsausschusses im Europaparlament nicht vereinbar.
Damit scheint jetzt doch alles auf einen Dritten hinauszulaufen, einen, der sich nach der Wahl zunächst bedeckt gehalten hat und der auch jetzt auf Presseanfragen nicht klar Position zu seinen persönlichen Plänen bezieht: Christian Dürr, Chef der nun aufzulösenden FDP-Bundestagsfraktion.
„Christian Dürr ist inzwischen der klare Favorit“, so ein Mitglied des Bundesvorstands im Gespräch mit t-online. Jemand anderes, der ebenfalls dem Vorstand angehört, bestätigt: „Ihm trauen alle am ehesten zu, den Laden zusammenzuhalten, weil er das in der Fraktion bereits bewiesen hat.“ Zwar werden parallel auch noch dem Chef der NRW-Landtagsfraktion, Henning Höne, Ambitionen nachgesagt, dessen Chancen seien im Vergleich zu Dürr aber gering.
Dürr, so heißt es dieser Tage häufig in der Partei, sei gut darin, Interessen zu moderieren. Eine Fähigkeit, die sehr hilfreich ist angesichts des programmatischen Selbstgesprächs, das die FDP in den kommenden Monaten, vielleicht Jahren wird führen müssen. „Pragmatisch“ sei er, sagen Weggefährten über ihn, „bodenständig“ und „zugewandt“.