Bei der Wiederholungswahl in Berlin hat eine AfD-Politikerin in Untersuchungshaft Stimmen gewonnen. Politikwissenschaftler Benjamin Höhne zeigt sich nicht überrascht.

Am Ende blieben die Veränderungen durch die Wiederholungswahl in Berlin überschaubar. Dennoch dürften die Ergebnisse der Ampelkoalition zu denken geben: Denn verglichen mit den Ergebnissen von 2021 konnten sowohl SPD als auch FDP deutlich weniger Stimmen einfahren. Die AfD konnte hingegen trotz Skandalen und Protesten an Stimmen gewinnen, und auch die Linke steht zumindest in Berlin gut da. Hier lesen Sie mehr zu den Ergebnissen der wiederholten Bundestagswahl.

FDP-Vize Wolfgang Kubicki bezeichnete die Ergebnisse für seine Partei als „bitter“, SPD-Landesvorsitzende Franziska Giffey die Wahl als „skurril“. Der Politikwissenschaftler Benjamin Höhne erklärt im Interview mit t-online, was die Ergebnisse nun für die Bundesregierung bedeuten und warum er nicht glaubt, dass sich die Zustimmung für die AfD durch die Proteste ändern wird.

t-online: Herr Höhne, insbesondere die SPD und die FDP haben bei dieser Wahl an Stimmen verloren. Wie erklären Sie sich das?

Benjamin Höhne: Wir wissen natürlich nicht, was genau in den Köpfen der Menschen vor sich ging. Aber sicherlich wird bei dieser Wiederholungswahl auch die Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit der Bundespolitik eine Rolle gespielt haben. Die Leistung der Ampel wird oft kritisch oder sogar negativ gesehen. Dies hat sich negativ auf das Ergebnis von SPD und FDP ausgewirkt.

(Quelle: Gerlind Klemens)

Zur Person

Dr. Benjamin Höhne ist Politikwissenschaftler mit einem Schwerpunkt auf politische Parteien und das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland.

Wie aussagekräftig sind die Ergebnisse denn für die Bundesregierung?

Sie sind nur bedingt ein Meinungsbild für die amtierende Regierung. Es war nur eine partielle Wahlwiederholung in einem Stadtstaat mit sehr spezifischen Gegebenheiten, die zudem Kuriositäten mit sich brachte. So standen dieselben Programme und Kandidierenden von 2021 zur Wahl, aber seit der ursprünglichen Wahl ist viel passiert. Natürlich können wir analysieren, welche Partei gewonnen und welche verloren hat und daraus Schlüsse ziehen. Aber wir sollten die Ergebnisse nicht überinterpretieren.

Trotzdem: Die CDU hat im Vergleich zu 2021 1,3 Prozentpunkte dazugewonnen. Ist das eine Bestätigung für die Oppositionsarbeit der Partei?

Die CDU hat es im Großstadtmilieu von Berlin tendenziell schwer. Deshalb ist es für sie immer wichtig – auch bei einer Wiederholungswahl –, wenn sie in der Hauptstadt ein bisschen zulegen kann. Besonders Friedrich Merz stand ja lange stark in der Kritik, auch intern. Merz scheint seine innerparteiliche Position gefestigt zu haben. Dabei hilft ihm natürlich jedes Wahlergebnis, das einen Zugewinn für die CDU bedeutet.

Trotz der großen zivilgesellschaftlichen Proteste und der Recherchen von „Correctiv“ hat die AfD an Stimmen gewonnen. Warum?

Das Ergebnis der AfD wundert mich nicht. Die Recherchen von „Correctiv“ waren vor allem für die Menschen eine Initialzündung aufzustehen, die keine rechtspopulistischen oder rechtsextremen Einstellungen teilen. Dennoch gibt es weiterhin diejenigen, die Rechtsaußenpositionen befürworten. Daher kam es offenbar zu keinen großen Wählerabwanderungen, sondern sogar eher zu leichten Zugewinnen für den Rechtspopulismus.

Ich vermute eine Art Solidarisierungseffekt. Menschen, die der AfD bisher nicht gänzlich abgeneigt waren, sie aber noch nicht gewählt haben, gaben ihr im Kontext der zivilgesellschaftlichen Proteste der vergangenen Wochen womöglich erst recht ihre Stimme. Jede Strategie oder Maßnahme wie etwa die viel zitierte Brandmauer gegen Rechtsaußen hat immer auch eine Kehrseite.

Im Wahlkreis Steglitz-Zehlendorf stand Birgit Malsack-Winkemann zur Wahl. Die AfD-Politikerin sitzt seit Dezember 2022 wegen Terrorverdachts in Untersuchungshaft und hat dennoch im Vergleich zu 2021 0,2 Prozentpunkte dazugewonnen. Schreckt der Vorwurf von Straftaten Bürgerinnen und Bürger nicht ab?

Wenn bei der AfD schuldhaftes Verhalten festgestellt wurde – ob es nun wie bei Malsack-Winkemann putschgerichtete Verwicklungen in der „Reichsbürger“-Szene sind oder Spendenskandale um die Co-Sprecherin Alice Weidel –, hat das der Unterstützung der Partei bisher kaum Abbruch getan. Offenbar misst die eigene Klientel mit zweierlei Maß: Einzelne Verstöße des politischen Gegners werden mitunter zum allgemeinen Demokratieversagen hochstilisiert, während sie in den eigenen Reihen unter den Teppich gekehrt werden.

Das würde ich auch nicht sagen. Wir haben es inzwischen mit einem ziemlich verfestigten rechtspopulistischen bis rechtsextremen Wählermilieu zu tun. Es hat sich unabhängig von tagespolitischen Ereignissen bei der AfD politisch beheimatet. Dabei ist die Normalisierungsstrategie der AfD aufgegangen.

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