Ein Krampfanfall hat nicht zwingend mit Epilepsie zu tun. Er kann auch psychische Ursachen haben. Was hinter einem solchen psychogenen Anfall steckt.
Wenn plötzlich eine Person zu Boden fällt, abwesend oder bewusstlos erscheint und sich dabei unkontrolliert bewegt oder zuckt, kann das bedrohlich wirken. Solche Symptome können Anzeichen eines epileptischen Anfalls oder einer anderen körperlichen Ursache sein. Seltener handelt es sich um einen sogenannten psychogenen Krampfanfall. Er äußert sich ähnlich wie ein epileptischer Anfall, hat aber andere Ursachen. Da er nicht immer mit Verkrampfungen einhergeht, ist auch von einem psychogenen Anfall die Rede.
Psychogene Krampfanfälle sind nicht unmittelbar gefährlich. Zu Stürzen oder anderen Verletzungen kommt es nur selten. Wer bemerkt, dass jemand mögliche Symptome eines Anfalls zeigt, sollte jedoch ärztliche Hilfe holen – insbesondere, wenn nicht bekannt ist, ob es sich tatsächlich um einen psychogenen Anfall oder nicht doch um eine Epilepsie handelt.
Anders als bei einer Epilepsie sind bei einem psychogenen Anfall keine körperlichen Veränderungen zu finden, welche die Beschwerden erklären könnten. Vielmehr ist der Anfall Ausdruck einer unbewussten seelischen Notlage. Fachleute sprechen von einem funktionellen oder psychogenen nicht-epileptischen Anfall (PNEA). Schätzungen zufolge sind etwa 2 bis 3 von 10.000 Menschen davon betroffen. Psychogene Anfälle sind damit deutlich seltener als epileptische. Für erkrankte Personen sind die Beschwerden sehr belastend, insbesondere, wenn sie häufig auftreten.
Im Englischen ist von „psychogenic non-epileptic seizure“ die Rede, weshalb auch die Abkürzung PNES gängig ist.
Ein anderer Begriff für einen psychisch bedingten Anfall ist „dissoziativer Anfall“ – denn Dissoziation spielt bei den Beschwerden eine wesentliche Rolle.
Dissoziation ist eine Art Abspaltung: Dabei sind verschiedene, normalerweise zusammenhängende psychische Funktionsbereiche des Hirns – wie Bewusstsein, Gedächtnis, Gefühle, Handeln oder Wahrnehmung – für kurze Zeit voneinander getrennt. Sowohl die Wahrnehmung der Umwelt als auch die Selbstwahrnehmung können gestört sein. Die betroffene Person hat darüber keine Kontrolle.
Das lateinische Wort „Dissoziation“ bedeutet übersetzt „Abspaltung“, „Abtrennung“.
In milder Ausprägung kennt jeder dissoziative Zustände: Etwa, wenn man von der Arbeit nach Hause fährt und das Auto dabei ganz automatisch bedient, ohne sich später im Detail an die Fahrt erinnern zu können. Oder wenn eine Person in ein Buch vertieft ist und alles andere um sich herum vergisst – vielleicht hört sie nicht einmal, dass jemand mit ihr spricht. In diesem Rahmen ist Dissoziation normal und kein Grund zur Sorge.
Außergewöhnlich belastende Situationen – etwa ein Autounfall – führen mitunter zu stärkerer Dissoziation. Nicht selten berichten Unfallbeteiligte, die Situation wie im Film, in Zeitlupe oder nicht bewusst erlebt zu haben, neben sich zu stehen oder wie weggetreten gewesen zu sein. Manche Menschen beginnen zu zittern oder sind wie erstarrt. Vielleicht können sie sich an das Ereignis nicht oder nur vage erinnern. Diese Phänomene sind eine Art Schutzmechanismus des Körpers: Sie entstehen, wenn belastende Reize vom Bewusstsein abgespalten werden, um sie erträglicher zu machen.
Dissoziation kommt auch bei Gesunden vor. Sie schützt eine Person vor für sie bedrohlichen Reizen. Zur Krankheit wird Dissoziation erst, wenn sie sehr stark und unangemessen ist und das Leben massiv einschränkt.
Bei einem psychogenen (dissoziativen) Anfall kommt es zu einer plötzlichen, sehr ausgeprägten Dissoziation. Dabei verliert die Person vorübergehend die Kontrolle über ihren Körper.
Ein psychogener Anfall ist oft Ausdruck einer sehr starken psychischen (oder körperlichen) Belastung beziehungsweise eines Traumas. Nicht immer können sich die Erkrankten an diese Belastung erinnern. Auch Stress – etwa durch einen anhaltenden Konflikt am Arbeitsplatz – kann bei manchen Menschen einen psychogenen Anfall auslösen.
Teile des Gehirns schalten während des Anfalls sozusagen ab oder lassen sich nicht mehr kontrollieren. Belastende Ereignisse oder Gefühle werden vom Bewusstsein abgespalten, um die Person kurzfristig vor Überforderung zu schützen. In der Folge reagiert der Körper mit einem Anfall.
Welche Symptome treten auf?
Ein psychogener Anfall kann sich sehr unterschiedlich äußern. Typisch ist jedoch, dass die Person kurzzeitig die Kontrolle über den eigenen Körper verliert, ähnlich wie bei einem epileptischen Anfall. Das Bewusstsein kann gestört sein.
Symptome eines dissoziativen Anfalls können sein:
- unwillkürliche, krampfartige Zuckungen
- verrenkungsartige Bewegungen
- Grimassieren
- Überstrecken des Kopfes
- Schütteln von Armen, Beinen oder Kopf
- regloses Verharren ohne Reaktion auf Ansprache
- das Gefühl, die Gedanken würden rasen
- Entfremdungsgefühle (die eigene Person oder die Umwelt erscheinen fremd oder wie im Traum)
Wenn ein Anfall mit unwillkürlichen Bewegungen einhergeht, können diese sehr heftig, aber auch mild ausgeprägt sein. Es kann zu tranceähnlichen Zuständen kommen. Die Augen sind zumeist geschlossen. Ohnmächtig werden die Betroffenen nur selten.
Häufigkeit und Dauer der Anfälle können von Person zu Person sehr unterschiedlich sein.
Unabhängig von den Anfällen leiden viele Erkrankte an weiteren Beschwerden. Dazu zählen etwa Schlafstörungen, permanente Erschöpfung oder Konzentrationsprobleme.
Während ein epileptischer Anfall abrupt einsetzt, beginnen die Symptome bei einem dissoziativen Anfall langsam, steigern sich innerhalb kurzer Zeit und klingen anschließend wieder ab. Nach dem Anfall kann sich die Person nur bruchstückhaft oder gar nicht an das Geschehene erinnern. Nicht selten lassen sich im Nachhinein bestimmte Auslöser für den Anfall feststellen – etwa Situationen, die zu einer erhöhten Anspannung führen.