
Die bittere Realität ist: Während sich Kremlchef Wladimir Putin weiterhin kompromisslos zeigt und die Kämpfe in der Ukraine unvermindert weiterlaufen, liefern sich Kreml und Europäer vor allem ein politisches Tauziehen um die Gunst von Trump. Durch die Rückkehr des Republikaners ins Weiße Haus hat sich die Lage für Kiew nicht verbessert, wohingegen Moskau 2025 erfolgreich auf Zeit spielen konnte. Aktuell gilt es unter Experten als wahrscheinlicher, dass Trump sich aus den Verhandlungen zurückzieht, als dass er den Druck auf Putin erhöht.
Doch die angespannte Stimmung betrifft nicht nur außen- und sicherheitspolitische Themen. Auch in die europäische Innenpolitik mischt sich die US-Administration zunehmend ein.
Besonders deutlich wird das beim Umgang mit der AfD. Trump-nahe Kreise treffen sich offen mit Funktionären der Partei. US-Offizielle bezeichnen sie als „patriotische Kraft“, die für ein neues Gleichgewicht in Europa gebraucht werde. Dass die Partei vom deutschen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird, stört in Washington offenbar niemanden. Stattdessen unterstützte der Tech-Milliardär und der damalige Trump-Berater Elon Musk die AfD im Bundestagswahlkampf.
AfD-Delegationen werden empfangen wie Vertreter eines Partnerstaats. In den USA wird die Partei als mögliche Regierungsoption gesehen. Und die Bundesregierung? Sie schweigt. Kein diplomatischer Protest, keine rote Linie, keine klare Abgrenzung.
Friedrich Merz meidet das Thema öffentlich, er setzt weiter auf Deeskalation. Doch wie lange geht das gut? Politikwissenschaftler Neumann sagte im November in der Sendung „Maischberger“: „Man kann sich vorstellen, dass das in den nächsten Monaten und Jahren weiter eskalieren wird.“ Für ihn sei es vorstellbar, dass die US-Regierung Sanktionen gegen Länder wie Deutschland erheben würde, weil sie angeblich „patriotische Kräfte“ benachteiligten. Gegen einige europäische Organisationen wie HateAid kündigten US-Behörden bereits Einresesperren an.
Das stellt die deutsche Politik vor ein Dilemma, denn Trumps Unterstützung für rechtsextreme Kräfte in Europa ist keine Provokation – sie ist Strategie.
Die Verbindungen zwischen den USA und Europa sind über Jahrzehnte gewachsen, die Abhängigkeiten sind groß. Auch für Kanzler Merz ist es ein sensibles Abwägen zwischen dem Demonstrieren eigener Stärke und der Deeskalation von Konflikten. Aber wählte er im Jahr 2025 den richtigen Kurs? Immerhin boten Länder wie China oder Kanada Trump erfolgreich die Stirn – und erreichten am Ende Kompromisse.
Die Bevölkerung zumindest registriert den Kuschelkurs mit Trump genau. Laut einer Umfrage von „Politico“ aus dem Herbst 2025 halten nur vier Prozent der Deutschen den Umgang von Merz mit Trump für „sehr gut“, weitere 24 Prozent für „gut“. 32 Prozent bewerten ihn als „schlecht“ oder „sehr schlecht“, der Rest ist unentschieden.
Der Eindruck der Kritiker von Merz: Der Kanzler laviert, statt zu führen. Er beschwichtigt, wo Haltung gefragt wäre. Und er vertraut einem Partner, der längst keiner mehr ist. Trump würde genau diese deutsche Zurückhaltung nutzen. Wer ihm nicht widerspricht, wirkt schwach. Und wer zu lange schweigt, verliert die Kontrolle über das eigene politische Narrativ.
Wie erfolgversprechend die deutsche Strategie augenblicklich noch ist, ist fraglich. Denn die US-Regierung zielt aktuell auf einen besonders vulnerablen Punkt in Europa: die europäische Einigkeit. Trump lehnt diese Einigkeit Europas ebenso wie die Europäische Union ab, weil sich die USA davon bessere Deals in Verhandlungen mit einzelnen Nationalstaaten erhoffen. Unterstützt werden sie dabei von rechtsextremen Kräften wie der AfD in zahlreichen europäischen Ländern.
Die EU wird also angegriffen, von innen und von außen. Merz steht im politischen Boxring mit Trump und muss dabei nicht nur verhindern, dass Deutschland getroffen wird, er muss zugleich den europäischen Zusammenhalt verteidigen.
Einerseits hat der Kanzler große Fortschritte erzielt, weil er Dialog und Abstimmung mit den europäischen Partnern intensiviert hat. Andererseits ließ er sich von Trump aufs Glatteis führen. Europa könne ein Partner der USA sein, „und wenn ihr mit Europa nix anfangen könnt, dann macht wenigstens Deutschland zu eurem Partner“, sagte er im Dezember.
Ein schwerer Fehler. Denn die europäischen Partner hören genau hin, wenn eine der größten Führungsmächte in Europa aus gemeinsamen Positionen ausscheren will. Außerdem will Trump genau das: die Spaltung Europas.
Dementsprechend muss auch die Bundesregierung ihren Kurs nachjustieren. Wenn Trump Stärke honoriert, warum sollte die EU diese dann nicht auch zeigen? Immerhin ist die Europäische Union der größte Wirtschaftsraum der Welt, vor den USA. Gleichzeitig können auch die Europäer Pendelpolitik betreiben, sich von den USA unabhängiger machen. Sie können etwa einen Interessenausgleich mit China suchen, was Trump gar nicht schmecken dürfte.
Europa darf selbstbewusster sein. Es muss es sogar werden, um in einer künftigen Weltordnung bestehen zu können. Trump ist in den USA umstritten und in der eigenen Bevölkerung unbeliebt. Im Verlauf seiner letzten Amtszeit wird seine Macht geringer werden. 2026 stehen in den USA bereits die wichtigen Zwischenwahlen an. All das sind Chancen für Europa, Machtpolitik zu lernen, auch gegenüber dem einst wichtigsten Partner. Wenn das Jahr 2025 eines gezeigt hat, dann: Es ist an der Zeit.