Weihnachtsmärkte gelten laut Verfassungsschutz als Ziel für Terroranschläge. Doch gesichert sind die Märkte häufig schlecht, wie Recherchen von t-online zeigen.

Deutschlands Weihnachtsmärkte sind nach Einschätzungen von Experten nur mangelhaft gegen mögliche Terroranschläge mit Lastwagen und Pkw geschützt. Viele der Betonpoller, die Amokfahrten verhindern sollen, eignen sich kaum, um heranrasende Fahrzeuge aufzuhalten – einige würden im Ernstfall die Lage sogar noch verschlimmern. Zu diesem Urteil kommt ein UN-Sachverständiger. Ob das auch beim Anschlag in Magdeburg der Fall war, ist noch unklar. Mindestens fünf Menschen starben und über 200 weitere wurden durch einen Pkw verletzt.

Zufahrtssperren an Weihnachtsmärkten entsprechen demnach selten den Voraussetzungen, die effektiven Schutz sicherstellen sollen. Die Behörden würden bei den Genehmigungen nicht so genau hinschauen und damit die Bürgerinnen und Bürger gefährden, so der Experte im Gespräch mit t-online.

Beispiel Berlin, Potsdamer Platz: Der Weihnachtsmarkt im Zentrum der Hauptstadt zählt zu den beliebtesten in der Adventszeit. Er liegt nur etwa zwei Kilometer Luftlinie vom Markt am Breitscheidplatz entfernt, der am 19. Dezember 2016 Schauplatz des Anschlags des islamistischen Terroristen Anis Amri wurde. 13 Personen kamen damals ums Leben, 67 weitere wurden verletzt.

Wie auch am Breitscheidplatz sind heute am Potsdamer Platz Betonklötze am Rande des Marktes aufgestellt. Sie vermitteln den Eindruck, sie könnten im Fall eines Terroranschlages selbst einen Lastwagen stoppen. Doch dieser Schein trügt, so der erfahrene UN-Sachverständige. t-online hat ihm Fotos der Sperren vorgelegt. Er selbst möchte nicht namentlich genannt werden, weil er aufgrund seiner Tätigkeit für die Vereinten Nationen an das Neutralitätsgebot gebunden ist.

Die Fotos zeigten eindeutig Betonleitschienen, sagt er „welche, sofern sie überhaupt gemäß DIN Norm als ‚Rückhaltesysteme an Straßen‘ geprüft wurden, keinesfalls normkonform aufgebaut wurden“. Denn dazu müssten diese mindestens zu einer Reihe von 30 bis 60 Metern Länge fest verkettet und am Anfang und Ende mit dem Untergrund verbunden sein. Dies ist hier nicht der Fall.

Der Sachverständige weiter: „Sie werden im Anprallfall mehr Menschen gefährden als schützen.“ Außerdem seien die Abstände der Borde an einigen Stellen so groß, dass Pkw mit hoher Geschwindigkeit „überfallartig und beschädigungsfrei in die Menschenmengen einfahren könnten.“ Das Ziel der Betonleitschienen sei also definitiv verfehlt und den Menschen werde eine Sicherheit suggeriert, die es faktisch gar nicht gibt.

Der Experte für Zufahrtsschutz, Francis Seijas, selbst mit einem Fach-Unternehmen in der Schweiz, stimmt zu: „Solche improvisierten Lösungen stellen ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar.“ Und ergänzt: „Trümmerteile und mitgerissene Objekte können das Verletzungsrisiko für Menschen in der Schutzzone zusätzlich erhöhen.“

Dieses Bild, das sich am Potsdamer Platz zeigt, ist in Deutschland nicht die Ausnahme, sagt der Sachverständige. „Leider fanden wir bei der überwiegenden Zahl der untersuchten Weihnachtsmärkte sehr hohes Gefährdungspotential, von der Einhaltung geltender Normen und Richtlinien ganz zu schweigen.“ Zwar müssten die Anmelder von Weihnachtsmärkten sogenannte Zufahrtsschutzkonzepte erarbeiten – meistens würden diese aber nicht von zertifizierten Unternehmen erstellt. Mit den aufgestellten Betonpollern wird dann auch kein ausreichender Schutz geboten.

Grund dafür sei eine Art „Katastrophendemenz“, kritisiert der Fachmann. Auch wenn ein Terroranschlag natürlich äußerst selten vorkomme, müssten die Sicherungsmaßnahmen stimmen. Denn sonst sei das Aufstellen von unwirksamen Betonpollern schon fast eine „arglistige Täuschung“ der Betreiber des Marktes und der genehmigenden Behörden. „Ich fürchte, hier ist sehr viel Unwissenheit und ein sehr gefährliches Missverständnis im Spiel“, sagt er. „Veranstaltungsschutz, also Zufahrtsschutz als eine Fachdisziplin des Bauwesens, wird meist mit Veranstaltungssicherheit, also dem sicheren Betrieb von Versammlungsstätten verwechselt.“

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