Hunderte, sogar knapp 1.000 Juden im parteinahen Verein „Juden in der AfD“? Das behauptete AfD-Chefin Alice Weidel gerade in einer Talkshow. Das ist aber völlig falsch – und auch andere Aussagen von ihr machen skeptisch.

Es war ein unangenehmer Moment für Alice Weidel am Sonntagabend: Vor laufenden Kameras sprach Moderatorin Caren Miosga in ihrer Talkshow die AfD-Kanzlerkandidatin auf das Verhältnis ihrer Partei zu Nationalsozialismus und Holocaust-Gedenken an. Weidel reagierte, indem sie auf den Verein „Juden in der AfD“ verwies. Dabei setzte sie aber Behauptungen und Zahlen in die Welt, die nicht stimmen.

Der Verein hat nämlich nicht „ein paar Hundert“ Mitglieder, „schon fast im vierstelligen Bereich“, wie Weidel bei Miosga sagte. Tatsächlich haben die „Juden in der AfD“ nur 22 Vollmitglieder, die Juden und zugleich AfD-Mitglieder sind. Das sagte der Vorsitzende der „Juden in der AfD“, Artur Abramovych, t-online am Dienstag.

Eine erhebliche Diskrepanz – und auch andere Aussagen von Weidel zu dem Verein machen skeptisch.

Was genau hat Weidel behauptet? Miosga verwies in einer Frage auf den gerade stattgefundenen Gedenktag zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar. Er ist zugleich Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Auch der Bundestag erinnerte am Mittwoch an den Tag mit einer Gedenkstunde, dort hielt ein Holocaust-Überlebender eine Rede. „Wie gedenkt die AfD der Opfer?“, fragte Miosga.

Weidel erklärte, dass die AfD im Bundestag der „sehr, sehr andächtigen“ Rede gelauscht und „natürlich“ auch Beifall geklatscht habe. Und sie betonte: „Wir gedenken dem Holocaust zusammen mit den ‚Juden in der AfD‘, das ist eine Vereinigung bei uns“.

Miosga fragte nach: „Wie viele sind das eigentlich?“ Worauf die AfD-Chefin erwiderte: „Das kann ich Ihnen nicht sagen. So ein paar Hundert sind das schon. Also, sind, glaube ich, schon fast im vierstelligen Bereich.“

Schon bei dieser Schätzung dürfte manch Zuhörer hellhörig geworden sein. Denn dem Bundesinnenministerium zufolge gehören nur rund 95.000 Menschen in Deutschland einer jüdischen Gemeinde an. Laut Statista soll es 2023 in Deutschland insgesamt 125.000 Juden gegeben haben. Und ein gar nicht so kleiner Teil dieser kleinen Community soll Mitglied der AfD beziehungsweise des AfD-nahen Vereins sein?

Die jüdische Community ist divers. Bei vielen jüdischen Organisationen steht aber nicht nur die AfD scharf in der Kritik, sondern auch die „Juden in der AfD“. Gegen die Gründung des Vereins 2018 protestierten der Zentralrat der Juden sowie 40 weitere jüdische Organisationen mit einer gemeinsamen Erklärung. Die AfD sei „antidemokratisch, menschenverachtend und in weiten Teilen rechtsradikal“, hieß es darin. Sie vertrete „keinesfalls die Interessen der jüdischen Gemeinschaft“. In ihr hätten vielmehr „Judenhass und die Relativierung bis zur Leugnung der Schoa ein Zuhause“. Der jüdische Publizist Micha Brumlik bezeichnete den Verein als „Farce“.

Tatsächlich hat die AfD-Chefin bei ihrer Schätzung ordentlich danebengegriffen. „Die ‚Juden in der AfD‘ haben 22 Vollmitglieder und rund 60 Fördermitglieder“, sagte Artur Abramovych t-online. Er ist seit 2021 Vorsitzender der „Juden in der AfD“ und arbeitet für den AfD-Abgeordneten Jürgen Braun im Deutschen Bundestag. Bereits seit Gründung der „Juden in der AfD“ 2018 war er stellvertretender Vorsitzender.

Wichtig zu wissen: Die 60 Fördermitglieder des Vereins sind nicht zwangsweise Juden und auch nicht zwangsweise AfD-Mitglieder. „Unter den Fördermitgliedern gibt es AfD-Mitglieder, die keine Juden sind, und Juden, die nicht der AfD beitreten wollen“, so Abramovych. Er schätzt außerdem, dass es „mindestens 20 Juden“ gibt, die Mitglied in der AfD, aber nicht Mitglied des Vereins sind.

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