Landtag unterbrochen

Was steckt hinter dem Chaos in Erfurt – und wie geht es weiter?

Von afp, dpa, t-online, mk

Aktualisiert am 27.09.2024Lesedauer: 4 Min.

Jürgen Treutler: Er muss sich gegenüber den Verfassungsrichtern erklären. (Quelle: Sascha Fromm/imago)

Die erste Sitzung des neuen Thüringer Landtags endete im Chaos. Jetzt müssen Verfassungsrichter entscheiden, wie es weitergeht – die Lage im Überblick.

Verfassungsbruch, Rechtsbruch, Blockade? Nach einer chaotischen ersten Sitzung des Thüringer Landtags soll der Verfassungsgerichtshof entscheiden, wie es weitergeht. Das Parlament in Erfurt rutscht damit vorübergehend in eine Krise – ohne einen Landtagspräsidenten ist es fast vier Wochen nach der Landtagswahl nicht voll arbeitsfähig.

Gesetzlich vorgeschrieben ist, dass sich der Landtag innerhalb von 30 Tagen nach der Landtagswahl konstituiert. Was in Erfurt passierte, die Unterbrechung einer Landtagssitzung und die Anrufung des Verfassungsgerichts, gilt unter Staatsrechtlern als „ungewöhnlicher Vorgang“. t-online beantwortet die wichtigsten Fragen zur Lage in Erfurt.

Am Donnerstag hatte es eine von Tumulten überschattete konstituierende Sitzung des neugewählten Parlaments in Erfurt gegeben. In ihrem Verlauf hatte sich der von der AfD gestellte Alterspräsident Jürgen Treutler geweigert, Anträge und Abstimmungen aus dem Plenum zuzulassen. Die Sitzung wurde unterbrochen. Treutler blockierte dadurch insbesondere, dass Anträge der Fraktionen der CDU und des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) zur Änderung der Geschäftsordnung des Landtags zur Abstimmung gestellt wurden.

Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke am Donnerstag im Landtag: Seine Fraktion hat das Parlament bei der ersten Sitzung ins Chaos gestürzt. (Quelle: Martin Schutt/dpa)

Ausgangspunkt war ein Streit über die Wahl des Landtagspräsidenten. Die AfD hat als stärkste Fraktion mit ihren 32 von 88 Abgeordneten das Vorschlagsrecht. Doch einen Anspruch, dass ihre Kandidatin auch gewählt wird, hat sie nicht. Da klar war, dass mit Jürgen Treutler ein AfD-Abgeordneter als Alterspräsident die Sitzung leitet, gab es im Vorfeld Befürchtungen, der 73-Jährige könnte stur ausschließlich AfD-Kandidaten zur Wahl aufrufen – die dann der Reihe nach bei der Wahl durchfallen würden.

CDU und BSW brachten daher einen Antrag ein, der es von Anfang an allen Fraktionen ermöglicht, Kandidaten für den Landtagsvorsitz vorschlagen zu können. Der Stoff war juristisch-trocken, doch die Emotionen kochten trotzdem hoch: Es gab Zwischenrufe, Applaus und teils verbales Durcheinander. Treutler versuchte, Abgeordneten das Wort zu entziehen, ignorierte Anträge und ging nicht auf mehrfach gestellte Forderungen ein, die Beschlussfähigkeit des Landtags festzustellen.

Jürgen Treutler: Das Verhalten des Alterspräsidenten sorgte für Diskussionen. (Quelle: IMAGO/Matthias Gränzdörfer/imago)

Stattdessen sagte er mehrfach, dass er die Rechtsauffassung der AfD-Fraktion teile und demnach zu handeln gedenke. Es gelang dem Parlament nicht einmal, seine Beschlussfähigkeit festzustellen. Die CDU warf dem AfD-Mann auch vor, seine Kompetenzen als Alterspräsident weit überschritten zu haben. Der CDU-Abgeordnete Andreas Bühl sagte in Richtung Treutlers: „Was Sie hier betreiben, ist Machtergreifung.“

Die Abgeordneten von CDU, BSW, Linke und SPD sehen mit dem Verhalten von AfD-Alterspräsident Treutler ihre parlamentarischen Rechte unzulässig beschnitten und das Mehrheits- und Demokratieprinzip angegriffen. CDU-Chef Mario Voigt sagte: „Das war ein Angriff auf parlamentarische Rechte, auf die Verfassung und auf jeden einzelnen Abgeordneten.“

Mit der Änderung der Geschäftsordnung wollen die übrigen Parteien in Erfurt erreichen, dass bei der Wahl des Landtagspräsidenten vom ersten Wahlgang an Kandidaten aus allen Fraktionen vorgeschlagen werden können. Ziel ist es, einen AfD-Landtagspräsidenten zu verhindern.

Andreas Bühl: Der CDU-Abgeordnete bezeichnete das Verhalten Treutlers als „Machtergreifung“. (Quelle: Martin Schutt/dpa/dpa-bilder)

Nach der bisherigen Regelung ist das Vorschlagsrecht in den ersten beiden Wahlgängen der stärksten Fraktion und damit aktuell der vom Thüringer Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextremistisch eingestuften AfD vorbehalten. Der Landtag ist erst mit der Wahl eines neuen Landtagspräsidenten oder einer -präsidentin voll arbeitsfähig.

Nach Ansicht des Juristen Maximilian Steinbeis hat die AfD als stärkste Fraktion nur das Recht, den Kandidaten für das Amt des Landtagspräsidenten vorzuschlagen, aber nicht das Recht, dass dieser Kandidat oder diese Kandidatin dann auch gewählt wird. „Das ist die freie Entscheidung der Abgeordneten des neuen Thüringer Landtags, wen sie zu ihrem Landtagspräsidenten wählen wollen. Und mehr gesteht die Verfassung der AfD als stärkste Fraktion überhaupt nicht zu“, sagte Steinbeis am Donnerstagabend im ZDF-„heute journal“.

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