Alexander Zverev ging nach dem verlorenen Endspiel schonungslos mit sich ins Gericht. Seine Aussagen lassen tief blicken.
Aus Melbourne berichtet Christoph Cöln
Alexander Zverev ist ein fantastischer Tennisspieler. Und er ist ein freundlicher Mensch, das hat er bei den diesjährigen Australian Open mit so gut wie jedem Auftritt bewiesen. Seine launigen On-Court-Interviews nach den Matches wurden von den Fans gefeiert und erreichten beinahe Kultstatus. Als er dann auch noch Tennis-Superstar Novak Djoković nach dessen verletzungsbedingtem Abgang im Halbfinale gegen die Buhrufe von Teilen des Publikums in Schutz nahm, erhielt er donnernden Szenenapplaus.
Der 27-jährige Hamburger hat sich in Australien viele Freunde gemacht. Nur einen Titel hat er wieder nicht geholt. Zum 36. Mal ist Zverevs Versuch, seine Karriere endlich mit einem großen Titel zu krönen, gescheitert. Vermutlich werden die Analysten sich nun in Spekulationen ergehen, ob dieser hochbegabte Zweimetermann seinem Trophäenschrank jemals noch einen jener pompösen Grand-Slam-Pokale hinzufügen wird, in den sein Name graviert wurde. Oder ob „Sascha“ trotz bislang 23 gewonnener Turniere unvollendet bleibt.
Bis zum Finale hatte Zverev auch mit seinem Tennis für sich geworben, war zu Recht ins Endspiel eingezogen. Doch gegen den Italiener Jannik Sinner wirkte er von Beginn an wie ein Fahrradschlauch, aus dem langsam die Luft entweicht. Er ackerte, feuerte sich auf dem Centre Court lautstark an, schöpfte im zweiten Satz sogar kurzzeitig Hoffnung, das Match zu drehen. Doch am Ende war alles vergeblich, nichts ging mehr.
Nach dem Match saß er niedergeschlagen auf seiner Bank, am liebsten hätte er sich wohl weggebeamt. Dennoch blieb er im grellen Schweinwerferlicht sitzen, rannte nicht wie Aryna Sabalenka nach ihrer überraschenden Niederlage im Damen-Finale am Vortag völlig entgeistert in die Katakomben. Zverev zeigte Größe in einer der wohl schmerzhaftesten Stunden seiner Laufbahn.
Bei der Pressekonferenz im Anschluss wurde seine Verzweiflung offenbar. „Er war heute in allen Belangen überlegen, er hat mich komplett ausgespielt“, sagte er über Sinner. „Ich habe zwar besser aufgeschlagen, aber das war es dann auch schon. Er macht ansonsten alles besser als ich. Alles.“ Dann zählte Zverev in schonungsloser Detailanalyse auf, was genau der Italiener alles besser macht als er. Es war fast schon eine Art Selbstdemontage.
Man hätte leicht auf den Gedanken kommen können, dass da ein heillos überforderter Qualifikant spricht, der in der ersten Runde gegen den Topfavoriten gescheitert ist. Tatsächlich standen sich im Finale der Weltranglistenerste und der Weltranglistenzweite gegenüber. Die beiden trennt nur ein Platz. Wenn man Zverev zuhörte, war es eher ein Klassenunterschied. Er war ehrlich verzweifelt.
„Ich tue alles, ich arbeite so hart, wie es nur irgendwie geht. Ich tue auch abseits des Courts alles, was ich kann. Aber ich habe hier in drei Sätzen glatt verloren. Das sind die Fakten“, sagte er. Fakt ist aber auch, dass Zverev an einem guten Tag jeden Spieler schlagen kann. Wenn es darauf ankommt, verpasst er diese Tage regelmäßig. Ist das nur fehlende Fortune?
Wohl kaum. Eher eine Haltungsschwäche. Schon vor dem Finale war Zverev zum Teil unnötig hart mit sich ins Gericht gegangen. So sagte er nach dem Spiel gegen Tommy Paul, er habe „die ersten beiden Sätze gestohlen“. In der Tat hatte er zu Beginn gegen den Amerikaner nicht überzeugt, aber die Tiebreaks dennoch ungefährdet nach Hause gebracht. Eine Qualität, die nur Spitzenspieler haben.
Auch nach dem Weiterkommen im Halbfinale gegen Djoković – Zverev hatte den ersten Satz nach hartem Kampf bravourös gewonnen, bevor der Serbe aufgab – sprach er davon, er brauche endlich mal Glück, um einen Titel zu holen. Dieser im Kleid vager Hoffnung daherkommende Fatalismus passt nicht zum Mindset eines Grand-Slam-Winners. Zverev scheint kein Qualitäts-, sondern eher schon ein Mentalitätsproblem zu haben.
„Ich will meine Karriere nicht beenden als der beste Spieler aller Zeiten, der nie einen Grand Slam gewonnen hat“, sagte er am Sonntag. Das muss er nicht. Er muss weiter arbeiten und an sich glauben, dann kann er jeden schlagen. Auch im Finale eines Grand Slam.