Im Film muss er einen radikalisierten Mann vom Guten im Koran überzeugen, privat ist er nicht sehr religiös. Mit t-online spricht Ulrich Tukur über Glaube und Moral und warum Religion niemandem schaden darf.
In seinem neuen Film „Martin liest den Koran“ spielt Ulrich Tukur einen Islamwissenschaftler, der unerwartet in eine bedrohliche Situation gerät: Eines Tages steht ein radikalisierter muslimischer Familienvater vor seiner Tür, er plant einen Anschlag. Dazu bittet er den Professor um Rat.
Es geht in dem Film nicht nur um die Gefahr religiöser Radikalisierung, sondern auch um die Chancen, die Dialog und Verständnis bieten.
Für Ulrich Tukur war die Figur des Islamwissenschaftlers schauspielerisches Neuland. t-online hat mit ihm über Glaube und Religion gesprochen und ihn gefragt, warum er sich zur Zusammenarbeit mit einem unerfahrenen Autorenteam entschlossen hat.
t-online: Herr Tukur, im Film wird der Wissenschaftler um Rat gefragt. Wann wurden Sie persönlich zuletzt um Rat gebeten?
Ulrich Tukur: Ehrlich gesagt werde ich selten danach gefragt. Manchmal wollen Schauspielkollegen von mir wissen, wie sie eine bestimmte Rolle spielen können. Meistens frage ich selbst Menschen um Rat.
Was möchten Sie dann wissen?
Gerade bin ich in Italien und interessiere mich sehr dafür, wie man Olivenöl und Rotwein selbst herstellt. Bei mir dreht sich viel um Nahrungsaufnahme.
Wir könnten uns jetzt also auch über gutes Essen unterhalten?
Auf jeden Fall: über Lebensmittel, über Essen, über Restaurants. Meine sportliche Tätigkeit erschöpft sich im Wesentlichen im Treppensteigen oder dem Spaziergang von einem Wirtshaus zum anderen. (lacht)
In Ihrem neuen Film geht es allerdings nicht um Essen, sondern um den Islam. Sie haben mit einem jungen, unbekannten Autorenteam zusammengearbeitet. Wie lief die Zusammenarbeit?
Sie war anstrengend. Ich habe mich auf ein Experiment mit zwei jungen Männern eingelassen, die noch nie einen Film gedreht haben. Wir haben uns drei Wochen lang die Nächte an der Freien Universität Berlin um die Ohren geschlagen, über die Umsetzung des Drehbuchs und die Kameraführung diskutiert. Es war eine Low-Budget-Produktion. Doch mir war das egal, ich habe an das Drehbuch geglaubt.
Was ist das Besondere an dem Drehbuch?
Es hatte mich regelrecht elektrisiert. So etwas Tolles hatte ich selten gelesen. Es war abgründig, gefährlich und voller überraschender Wendungen. Herausgekommen ist ein spannender, aber auch verstörender Film, an dessen Ende man das Bedürfnis hat, darüber zu sprechen.
Weil sich nicht sofort erschließt, was passiert ist, wer Opfer und wer Täter ist, ob sich die Dinge in der Wirklichkeit oder nur in der Phantasie von Martin abspielen. Der Film wirft grundsätzliche moralische Fragen auf. Wie weit darf ein Mensch gehen? Darf er andere für seine eigenen Glaubensgrundsätze beschädigen?
Hat Sie das an der Rolle gereizt?
Für mich war es Neuland. Das war ein Thema, mit dem ich schauspielerisch noch nichts zu tun hatte. Ich stehe seit über 40 Jahren auf der Bühne und vor der Kamera, da wiederholt sich einiges. Zudem hatte ich bis dahin wenig Ahnung vom Koran. Dabei spielt der Islam in unserer Gesellschaft mittlerweile eine ziemlich große Rolle, weil viele Menschen muslimischen Glaubens bei uns leben. Durch das Drehbuch und mit der Arbeit an der Rolle konnte ich Neues lernen.
Zum Beispiel, dass der Koran ein Buch ist, aus dem man sich alles Mögliche klauben und es auf verschiedene Weise interpretieren kann. Oft liest man in einer Sure etwas, das an anderer Stelle widerlegt wird. Der Koran ist gar nicht so radikal, aggressiv und lebensabträglich, wie viele glauben, man kann ihn auch ganz anders verstehen. Leider gibt es diese Hardliner, die ihn sehr militant auslegen. Solche Fundamentalisten und Schreckensmänner richten immer unendlichen Schaden an. So wie es auch die katholische Kirche im Mittelalter mit der christlichen Botschaft und der Bibel getan hat.