Sahra Wagenknecht bringt den aufmüpfigen Landesverband in Thüringen auf Linie. Daran entzündet sich Kritik. Doch die etablierten Parteien sollten lieber auf sich selbst schauen.
Immer wenn eine neue Partei in die Parlamente drängt, lautet das Motto bei den Etablierten meist: Ignorieren, Aussitzen und darauf warten, dass sich die neue Konkurrenz selbst entzaubert und alsbald wieder verschwindet. Im Fall des Bündnis Sahra Wagenknecht dürfte diese Strategie nicht funktionieren. Dafür ist das BSW zu erfolgreich. Ignorieren geht nicht mehr. Nur noch koalieren – andernfalls droht in einigen Landesparlamenten eine Machtübernahme der AfD.
In Brandenburg bilden voraussichtlich BSW und SPD bald eine Regierung und auch in Thüringen wollen CDU und SPD mit dem Bündnis zu einer „Brombeerkoalition“ zusammengehen. Klingt schmackhaft, ist aber nichts anderes als Koalieren aus Notwehr.
Pikanterweise besteht Parteigründerin Sahra Wagenknecht auf einer ziemlich unappetitlichen Klausel: Im Tausch für das Ja-Wort sollen die Bürgerlichen im Koalitionsvertrag gewissermaßen der Kapitulation der Ukraine vor dem russischen Aggressor zustimmen. Die als pragmatisch geltende BSW-Vorsitzende Katja Wolf schwächte die Klausel ab, während SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke in Brandenburg die Klausel ohne viel Aufhebens abnickte.
Das darf man als veritablen Hammer bezeichnen. Nicht ganz zu Unrecht warf Brandenburgs CDU-Chef den Sozialdemokraten Verrat an den eigenen Überzeugungen vor. Die SPD habe einen „Kotau“ vor Wagenknecht gemacht, sagte Jan Redmann. „Es geht ihr nur um ihre eigene Macht“.
Das hat Politik so an sich. Ohne Macht, kein Einfluss. Niemand weiß das besser als Sahra Wagenknecht. Die brachte, unterstützt von ein paar Emissären, den aufmüpfigen Thüringer Landesverband auf Linie – und zwar mittels Daumenschrauben. Die Äußerungen aus BSW-Bundesspitze erinnerten fast schon an Mobbing, manche sprechen bereits von einer „Kaderpartei“ nach sozialistischem Vorbild.
Dabei macht Wagenknecht eigentlich nur das, was jede versierte Machtpolitikerin tun würde: Sie schiebt den Zentrifugalkräften in ihrer noch jungen Organisation frühzeitig einen Riegel vor und zeigt den Parteifreunden in Erfurt, wo der Barthel den Most holt: nämlich in Berlin, bei Wagenknecht persönlich. Ohne sie geht nichts im BSW. Das weiß ab sofort nicht nur Katja Wolf.
Das Gejammer über die vermeintlich antidemokratischen Methoden der ehemaligen Galionsfigur der kommunistischen Plattform ist dennoch fehl am Platz. Auch andere Parteien pochen ihren Landesverbänden gegenüber bei Bedarf vehement auf die Einhaltung von Bundesbeschlüssen und ihren Auftrag zur politischen Willensbildung.
Genau damit rechtfertigt Wagenknecht auch den harten Umgang mit den eigenen Leuten. Die Klausel müsse 1:1 im Koalitionsvertrag enthalten sein, um den Wählerauftrag zu erfüllen, und der lautet nach der Interpretation der BSW-Spitze: Frieden schaffen.
Zuvorderst soll es diesen Frieden in der Ukraine geben (zum Nahen Osten hört man vom BSW kaum ein Wort), allerdings zu Bedingungen, die für das von Russland völkerrechtswidrig überfallene Land vollkommen inakzeptabel sind.
Wagenknecht stört das nicht. Ihr populistischer Friedens-Schlager verfing im Wahlkampf zu gut, als dass ihm die komplexe Wirklichkeit im Weg stehen durfte. Zu dieser Wirklichkeit gehört, dass die Bedrohung durch den russischen Tyrannen mit der umstrittenen Präambel im Thüringer und Brandenburger Koalitionsvertrag eher größer als kleiner wird. Putin schaut genau hin, was bei uns passiert.
Der eigentliche Skandal ist die Ignoranz der bürgerlichen Parteien gegenüber der Beistandsverpflichtung mit der Ukraine. Die dürfte nämlich bald nichts mehr wert sein. Da kann der Kanzler noch so oft sagen, dass die Ukraine sich auf Deutschland verlassen kann, „solange es nötig ist“. Ja, nur worauf kann sich das Land da verlassen?