Kopfschmerzen hat fast jeder mal. Kehren sie aber immer wieder, kommen überfallartig und werden von weiteren Beschwerden begleitet, liegt meist eine Migräne vor.
Migräne ist die häufigste neurologische Erkrankung in Deutschland. Etwa 3,7 Millionen Frauen und zwei Millionen Männer sind davon betroffen. Trotzdem wissen viele Menschen wenig über die Krankheit. Denn sie hat viele Gesichter und kann sich individuell sehr unterschiedlich äußern.
t-online sprach mit der Kopfschmerzexpertin Professor Dr. Dagny Holle-Lee. Die Neurologin und Buchautorin erklärt, was bei einer Migräneattacke im Kopf passiert, welche Begleitsymptome auftreten können, und wie sich die Krankheit behandeln lässt.
t-online: Was genau passiert bei einer Migräne im Kopf?
Professor Dr. Dagny Holle-Lee: Bei Migräne handelt es sich um eine Netzwerkstörung im Gehirn. Sie ist nicht auf ein bestimmtes Zentrum begrenzt, sondern ganz viele Strukturen sind involviert. Früher dachte man, dass eine Erweiterung der Blutgefäße die für Migräne typischen Kopfschmerzen auslöst. Heute weiß man aber, dass vor allem Entzündungsprozesse eine wichtige Rolle spielen. Durch sie werden an mehreren Orten im Gehirn Botenstoffe ausgeschüttet, die zu Schmerzattacken führen.
Warum leiden manche Menschen unter Migräne und andere nicht?
Es gibt eine Anfälligkeit für Migräne, die vererbbar ist. Menschen kommen schon mit einem „Migränegehirn“ auf die Welt. Häufig sind mehrere Familienmitglieder betroffen. Allerdings ist es individuell sehr unterschiedlich, wie stark die Migräne ausgeprägt ist und in welchen Lebensphasen sie auftritt. Ich hatte kürzlich einen Patienten, bei dem erst im Alter von 60 Jahren Migränesymptome aufgetreten sind.
Prof. Dr. med. Dagny Holle-Lee ist Neurologin, zertifizierte Kopfschmerzexpertin der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. (DMKG) sowie Buchautorin. Sie leitet das Westdeutsche Kopfschmerz- und Schwindelzentrum der Klinik für Neurologie der Universitätsmedizin Essen.
Wie erkenne ich, dass ich Migräne habe?
Die Migräne umfasst ein sehr breites Spektrum an Symptomen. Die Attacken können sich sehr unterschiedlich äußern. Einige Patienten klagen über starken, einseitigen Kopfschmerz, Licht- und Lärmempfindlichkeit sowie Übelkeit und Erbrechen und sind mehrere Tage nicht einsatzfähig.
Andere Patienten haben leichtere Migräneattacken, bei denen schwächere oder nur einzelne Symptome auftreten. Viele denken noch immer, dass eine Migräne nur einseitig auftritt. Dabei fangen die Schmerzen häufig beidseitig im Nacken an und ziehen dann nach oben.
Daher wissen viele Betroffene gar nicht, dass sie Migräne haben. Sie denken, ihre Kopfschmerzen seien ganz normal. Doch normal sind Kopfschmerzen nie, vor allem dann, wenn sie immer wiederkehren. Sie sollten bei Beeinträchtigung immer von einem Arzt abgeklärt und behandelt werden.
Migräne oder Spannungskopfschmerz: Wo liegt der Unterschied?
Im Gegensatz zu einer Migräne führen Spannungskopfschmerzen zu keiner Beeinträchtigung und die Beschwerden klingen meist schnell wieder ab. Man erinnert sich dann gar nicht, dass man kurz mal Kopfschmerzen hatte. Migränekopfschmerzen dagegen kommen in regelmäßigen Abständen immer wieder und stören den Alltag der Betroffenen.
Wie stellt der Arzt die Diagnose „Migräne“?
Ein beweisendes diagnostisches Verfahren gibt es nicht, da körperliche Untersuchungen, Blutanalysen oder bildgebende Verfahren nicht aussagekräftig sind. Migräne kann daher nur über eine Ausschlussdiagnose festgestellt werden. Das passiert mittels eines Anamnese-Gesprächs, bei dem der Arzt den Patienten nach der Art und dem Auftreten bestimmter Symptome befragt und so die Diagnosekriterien abcheckt.
Immer wieder hört man, dass Migräne durch bestimmte Trigger ausgelöst wird. Was weiß man darüber?
Früher dachte man, dass solche Trigger eine große Rolle spielen. Viele Patienten sind auch heute noch davon überzeugt und dokumentieren ihre Ernährung und ihre Aktivitäten in speziellen Migräne-Apps oder schreiben sie auf. Allerdings lassen sich aus solchen Aufstellungen meist keine ursächlichen Zusammenhänge ableiten.
Dennoch glauben viele Migränepatienten an auslösende Faktoren und denken, ein Muster zu erkennen.
Die meisten Faktoren, die man als Trigger identifiziert hat, sind nur Vorläufersymptome einer Migräneattacke. So bekommen einige Patienten vor ihrer Migräne Heißhunger auf Schokolade, weil der Hypothalamus im Gehirn aktiviert ist. Daraus leiten viele dann ab: „Wenn ich das esse, bekomme ich Migräne.“ Doch das Gelüst ist nur ein Zeichen dafür, dass die Migräne schon begonnen hat. Es gibt nur wenige echte Trigger, die als Auslöser einer Migräneattacke in Betracht kommen.