Erstmals hat das Bundeskriminalamt auf Geheiß von Bundesinnenministerin Nancy Faeser ein „Lagebild Kindesmissbrauch“ erstellt. Die dort gesammelten Zahlen sind erschreckend.

Wie viele Kinder und Jugendliche werden in Deutschland zu Opfern sexualisierter Gewalt? Um diese Frage kompetent beantworten zu können, hat das Bundeskriminalamt (BKA) ein neues Lagebild eingeführt: das „Bundeslagebild Sexualdelikte zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen“, das am Montag zum ersten Mal erscheint und in Zukunft jährlich veröffentlicht werden soll.

Die Zahlen zu Kindesmissbrauch in Deutschland

Im vergangenen Jahr wurden 17.168 Kinder unter 14 Jahren zu Opfern sexuellen Missbrauchs. Es handelte sich um 14.720 deutsche (-4,1 Prozent) und 2.448 nicht deutsche Opfer (+14,1 Prozent). Unter Letzteren sind am häufigsten Kinder mit syrischer (181), rumänischer (116) und polnischer (109) Staatsangehörigkeit betroffen. 73,9 Prozent der Opfer sind weiblich, 26,1 Prozent männlich.

Der Anteil weiblicher Opfer im Alter von 6 bis 13 Jahren (2022: 75,1 Prozent) ist prozentual größer als jener der weiblichen Opfer in der Altersklasse unter sechs Jahren (2022: 66,0 Prozent).

Bei den Fällen geht es zum Großteil um sexuellen Missbrauch, in dem sexuelle Handlungen an dem Kind vorgenommen werden oder das Kind gezwungen wird, sexuelle Handlungen an Erwachsenen vorzunehmen (2022: 6.261 Fälle). An Platz zwei sind es Handlungen und Einwirkungen ohne Körperkontakt (2022: 3.847 Fälle), gefolgt von Exhibitionismus oder sexuellen Handlungen vor Kindern (2022: 1.478 Fälle). In 290 Fällen wurden Kinder für sexuellen Missbrauch angeboten.

Auf der Pressekonferenz zum Lagebild berichtet Bundesinnenministerin Nancy Faeser von einem solchen Fall: Hier kamen Ermittlungen in Gang, weil eine Frau ihre Schwägerin verdächtigte, die eigene 13-jährige Tochter unbekannten Männern anzubieten – ein Verdacht, der sich durch die Ermittlungen bestätigte.

„Der Fall zeigt auch, dass der Missbrauch von Kindern eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft ist“, sagt Nancy Faeser. Die meisten Fälle würden durch ein aufmerksames Umfeld aufgedeckt, so die Bundesinnenministerin. Die Polizei bearbeite diese Fälle mit großer Priorität: „Unser Ziel ist: Kein Täter darf sich sicher fühlen“, sagt Faeser.

Den Opfern stehen 11.556 Tatverdächtige (-0,1 Prozent) gegenüber. Davon sind 9.455 deutsche (-2,0 Prozent) und 2.101 nicht deutsche Tatverdächtige (+9,3 Prozent). Am häufigsten haben die nicht deutschen Täter syrische (308), afghanische (194) und türkische (176) Staatsangehörigkeit. 94,3 Prozent sind männlich, 5,6 Prozent sind weiblich.

Unter den Opfern sind häufig auch sehr junge Kinder: Wie die Daten zeigen, haben die Polizistinnen und Polizisten in fast jedem siebten Fall Opfer identifiziert, die noch nicht das sechste Lebensjahr erreicht hatten.

In über der Hälfte der Fälle gab es zwischen Opfern und Tatverdächtigen Vorbeziehungen. 22,1 Prozent der Täter stammen aus den Familien der Kinder, 30 Prozent sind Freunde oder Bekannte, 6 Prozent stammen aus Institutionen wie Kita oder Kindergruppen. Bei 29,4 Prozent gibt es keine Vorbeziehungen zwischen Tätern und Kindern.

Die meisten wohnen in den Orten, an denen sie auch ihre Taten begehen (68,1 Prozent), oder im Landkreis (7,3 Prozent). Überregional agierende Tatverdächtige gibt es sehr wenige (6,7 Prozent).

Der Anteil kindlicher und jugendlicher Tatverdächtiger lag für das Berichtsjahr 2022 insgesamt bei über 30 Prozent. Das sind oft Täter, die sich der Strafbarkeit ihrer Handlungen nicht bewusst sind und von einer Einvernehmlichkeit ausgehen. 11,2 Prozent sind Kinder bis 13 Jahre, 20,4 Prozent sind Jugendliche (14 bis 17 Jahre).

Auch gegen Jugendliche gibt es Missbrauch – aber andere Täter

Hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren stellte die Polizei im vergangenen Jahr 1.211 Opfer fest, davon 1.025 deutsche und 186 nicht deutsche Opfer. 76 Prozent der Opfer sind weiblich, 23 Prozent sind männlich. Auch bei den Jugendlichen gibt es meist eine Vorbeziehung zwischen Opfern und Tatverdächtigen. Allerdings ist es weniger häufig die Familie (10 Prozent), öfter sind es Bekanntschaften (48,4 Prozent) oder Institutionen (3,0 Prozent). In 25 Prozent der Fälle gab es keine Vorbeziehung. Dem gegenüber stehen 925 Tatverdächtige, davon 721 deutsche und 204 nicht deutsche Täter.

Deutlich gestiegen sind 2022 Fälle der Verbreitung, des Erwerbs und Besitzes kinder- und jugendpornografischer Inhalte, berichtet das BKA. 2022 registrierte die Polizei 42.075 Fälle mit kinderpornografischen Inhalten, 7,5 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum (2021: 39.171). Um 32,1 Prozent stieg die Zahl mit jugendpornografischen Inhalten auf 6.746 Fälle (2021: 5.105).

Die Lagedarstellung beruht insbesondere auf Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS), die das sogenannte Hellfeld beinhaltet: die Fälle, die der Polizei bekannt sind und von ihr bearbeitet wurden. Es sind also die Fälle, die durch Ermittlungsbehörden, Opfer oder andere Personen angezeigt wurden. Das Dunkelfeld der nicht angezeigten oder nicht ermittelten Fälle wird nicht abgebildet.

Aktie.
Die mobile Version verlassen