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Mehr als 200.000 Menschen demonstrieren auf der Theresienwiese gegen Rechtsextremismus. Viele Protestschilder richten sich dabei auch gegen CDU-Chef Merz.

Die Glocken von St. Paul geben den Startschuss: Um viertel vor zwei ertönen sie fünf Minuten lang und schicken ihr Geläut hinüber zur Theresienwiese, wo an diesem Nachmittag größeres Gedränge herrscht als an jedem Oktoberfestsamstag – und das ganz ohne Festzelte und Fahrgeschäfte.

Aus allen Richtungen strömen Menschen auf jene 42 Hektar großen Freifläche, die schon bald gar nicht mehr so frei wirkt. Am dichtesten stehen die Leute zu den Füßen der Bavaria beisammen, wo eine Bühne aufgebaut ist, auf der um kurz nach 14 Uhr Micky Wenngatz das Wort ergreift. „Hallo München!“, ruft die Vorsitzende des Vereins „München ist bunt“, der die heutige Kundgebung unter dem Motto „Demokratie braucht Dich“ angemeldet hat. Und mit Blick auf den stetig wachsenden Menschenteppich vor ihr fügt sie hinzu: „Ihr seid großartig!“

Mit 75.000 Teilnehmenden hatten die Veranstalter gerechnet, weshalb die Demonstration vom Geschwister-Scholl-Platz auf die Theresienwiese verlegt wurde. Dorthin seien dann 320.000 Menschen gekommen, wird „München ist bunt“ später per Pressemitteilung verkünden. Derweil spricht die Polizei von mehr als 200.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Doch egal, welche Zahl der Wahrheit auch näher kommt – Fakt ist: Diese Demonstration gegen Rechtsextremismus ist eine der größten Kundgebungen in München in der jüngeren Vergangenheit.

„Es gibt einem ein gutes Gefühl, dass so viele Menschen hier sind“, sagt die 25-jährige Paula, die extra aus Ingolstadt angereist ist. „Mir war es wichtig, dass heute ein Zeichen gesetzt wird“ – und zwar gegen die AfD. Und, das betont Paula: „Ich hoffe, dass von dieser Demo die Botschaft ausgeht, dass eine Zusammenarbeit mit rechten Parteien nicht in Ordnung ist.“

Dieser Satz zielt eindeutig gegen Friedrich Merz und die CDU, die kürzlich im Bundestag gemeinsam mit der AfD gestimmt und dafür heftige Kritik geerntet hat. Diese spiegelt sich auch auf der Theresienwiese wider, und zwar in Form von zahllosen Schildern und Plakaten. „Wenn Ihr so weitermacht, krieg ich einen Merz-Infarkt“, steht dort zum Beispiel. Oder: „SchMERZgrenze überschritten.“

„Man fühlt sich geborgen und aufgehoben“, sagt eine Demonstrationsteilnehmerin über die Stimmung auf der Theresienwiese. (Quelle: Patrik Stäbler)

Mit derlei Angriffen hatte im Vorfeld auch Bayerns Justizminister Georg Eisenreich gerechnet, weshalb er – ebenso wie andere CSU-Politiker – eine Teilnahme an der Kundgebung ablehnte. „Wie vergleichbare Demos in anderen Städten zeigen, wird am Samstag zum Teil auch Wahlkampf gegen die Asyl- und Zuwanderungspolitik der Union gemacht werden“, teilte Eisenreich mit, der auch Chef der Münchner CSU ist. „Da ich wie Friedrich Merz und Markus Söder für die überfällige Änderung der verfehlten Asyl- und Zuwanderungspolitik bin, werde ich am Samstag daher nicht teilnehmen.“

  • Warum Bayerns Justizminister nicht an der Demo teilnehmen will, lesen Sie hier

Abseits der Kritik an der CDU und ihrem Chef ist es jedoch eine andere Partei, gegen die sich die meisten Plakate und Schilder bei der Demonstration richten. Die Rede ist von der AfD, deren jüngster Höhenflug auch für die 69-jährige Christiane ein Grund gewesen ist, hierherzukommen. „Da ganze Gerede von Grenzen dicht und Leute rausschmeißen ist doch ein Schmarrn“, sagt die Münchnerin. Auch bei der großen Demo gegen rechts am Siegestor vor einem Jahr sei sie dabei gewesen. Nachdem es in anderen Städten nun bereits neuerliche Protestaktionen gegeben hatte, habe sie nur darauf gewartet, dass in München „endlich auch was passiert“, sagt Christiane, bevor sie sich weiter in Richtung Bühne vorarbeitet, was angesichts der Menschenmassen keineswegs leicht ist.

Nach Angaben der Polizei, die mit circa 300 Einsatzkräften vor Ort ist, bleibt die Stimmung auf der Theresienwiese an diesem Nachmittag friedlich. Die strahlende Sonne tut dabei ihr übrigens und trägt zur guten Laune bei. „Man fühlt sich geborgen und aufgehoben“, sagt Christiane Zeunert, die nur einen Steinwurf von der Bühne entfernt den Rednerinnen und Rednern lauscht.

Unter anderem warnt der österreichische Journalist Robert Misik von den jüngsten Entwicklungen in seiner Heimat: „Es ist, das ist die Lehre aus meinem Land, so unschätzbar wichtig, dass Sie genau jetzt, genau bei den ersten Versuchen, den ersten Tabubrüchen, schon aufstehen und sagen: Halt, stopp, hier geht’s steil bergab, da lauert der Abgrund!“

Derweil betont Micky Wenngatz: „Wenn die Demokratie durch Rechtsextreme unter Beschuss gerät, dann braucht die Demokratie uns alle, um sie zu verteidigen.“ Dass dem Aufruf von „München ist bunt“ sowie Dutzenden anderen Organisationen so viele Menschen gefolgt seien, stimme sie hoffnungsvoll. „Ihr alle zeigt ganz deutlich“, sagt Micky Wenngatz, „wenn unsere Demokratie uns braucht, dann sind wir da!“

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