Bundesfinanzminister Christian Lindner macht weiter Druck auf die Koalitionspartner. Jetzt nahm er Bezug auf ein besonders turbulentes Kapitel deutscher Geschichte.

Will Christian Lindner die Geschichte wiederholen und aus der Regierung heraus den Kanzler stürzen? In einem Interview mit der „Rheinischen Post“ machte der Bundesfinanzminister Andeutungen über ein umstrittenes Kapitel der FDP. Obwohl die Liberalen in einer sozialliberalen Regierung mit der SPD waren, hatte sich 1982 der damalige FDP-Chef und Außenminister Hans-Dietrich Genscher hinter den Kulissen der Union angedient.

Am 1. Oktober 1982 kam es schließlich im Parlament zu einem Misstrauensvotum gegen den damaligen SPD-Kanzler Helmut Schmidt – das dieser verlor. In den darauffolgenden Wahlen bekamen die Union unter Helmut Kohl und die FDP eine Mehrheit.

Auf die Frage, ob Genscher ein Vorbild sei, sagte Lindner nun: „In der Innenpolitik hatte er den Mut, die Existenz unserer Partei zu riskieren, um dem Land 1982 den nötigen marktwirtschaftlichen Politikwechsel zu ermöglichen.“ Gefragt, ob die FDP wieder in dieser Situation sei, antwortete Lindner: „Manchmal bedeutet Mut, trotz Kontroversen in einer Koalition zu bleiben, weil Stabilität wichtig ist und noch Gutes bewirkt werden kann. Manchmal bedeutet Mut aber auch, ins Risiko zu gehen, um neue politische Dynamik zu schaffen.“

Der FDP-Chef sprach vom „Herbst der Entscheidungen“, in dem es um die Umsetzung der Wachstumsinitiative und Verständigung auf den Bundeshaushalt sowie Kontrolle und Konsequenz bei der Migrationspolitik gehe. „Daran messen die Bürger die Koalition. Ich auch.“

Die Umstände heute sind nicht die gleichen, es gibt aber Parallelen. Zu Beginn der Achtzigerjahre waren es in der SPD vor allem die rechten und linken Flügel, die die Führung unter Druck brachten. Die Linken kritisierten den Nato-Doppelbeschluss, der die Stationierung amerikanischer Raketen in Deutschland ermöglichte. Sie sahen dies als Provokation Russlands – ähnlich wie in Teilen der SPD heute vor der Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine gewarnt wird.

In der FDP wuchs damals der Unmut über die Wirtschaftspolitik des Kooperationspartners. Der damalige Wirtschaftsminister Dr. Otto Graf Lambsdorff (FDP) brachte mit dem sogenannten „Wende-Papier“ Vorschläge zur Reform der Wirtschafts- und Sozialpolitik ein, die den Beginn vom Ende der Koalition einleiteten. Heute ist es ebenfalls die Wirtschafts- und Finanzpolitik, die Lindner immer wieder Grund zur Kritik an den Koalitionspartnern gibt. Allerdings sitzen in der Koalition nun drei Parteien, und eine stellt mit dem Grünen Robert Habeck den Wirtschaftsminister.

Grundlegend anders als 1983 verhält es sich bei der Akzeptanz der FDP bei den Wählern. In Umfragen kratzen die Liberalen derzeit an der Fünfprozenthürde. In den jüngsten Landtagswahlen schafften sie es in Sachsen lediglich auf 0,9 Prozent, in Thüringen auf 1,1 Prozent. Das von ihr herbeigeführte Ende der sozialliberalen Koalition kostete die FPP bei der Wahl 1983 ebenfalls Stimmen. Sie verlor 3,6 Prozent im Vergleich zur Wahl 1980, konnte sich aber mit sieben Prozent noch im Bundestag behaupten und mit der Union eine Koalition eingehen.

Sollte sich die FDP heute aus der Koalition verabschieden, wäre es fraglich, welchen Erfolg ein Misstrauensvotum haben könnte, selbst wenn es eine Mehrheit gegen Bundeskanzler Olaf Scholz gäbe. Im kommenden Jahr sind ohnehin Neuwahlen zum Bundestag, und wie schon 1983 könnten FDP-Wähler erneut der Parteiführung einen Vertrauensbruch vorwerfen. Nur ist heute das Umfragepolster wesentlich kleiner.

Lindners kaum verhohlene Drohung eines frühen Ampel-Endes könnte sich also als der Versuch herausstellen, interne Rufe nach einem Bruch zu beantworten, ohne handeln zu müssen. Und weiterhin Druck auf die Koalitionspartner zu machen, die FDP-Forderungen vor allem beim Haushalt zu akzeptieren.

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