Das deutsche Wunder am Mississippi: Ex-Bundesliga-Manager revolutioniert den US-Fußball

Eigentlich galt St. Louis als hoffnungsloser Fall. Mittlerweile stellt der Neuling den US-Fußball auf den Kopf. Eine Cinderella-Story, bei der ein Ex-Bundesliga-Manager eine Hauptfigur ist.

Es war ein stürmischer Tag in St. Louis – in mehrfacher Hinsicht. Wegen eines starken Gewitters und einer Tornado-Warnung wurde der für 19.30 Uhr angesetzte Anstoß des Spiels St. Louis City SC gegen FC Cincinnati kurzfristig abgesagt. Tausende Fans mussten das Stadion verlassen, die Eingänge wurde geschlossen, die Teams wurden zurück in ihre Kabinen beordert.

Was sich für Bundesligisten wie ein Szenario aus einer anderen Welt anhört, ist in der nordamerikanischen Major League Soccer (MLS) nicht ungewöhnlich. Im Mittleren Westen gehören Wetterkapriolen eben dazu. Außergewöhnlich war allerdings, was sich danach ereignete.

Nachdem die Partie mit zwei Stunden Verspätung doch angepfiffen worden war, fegte das Heimteam wie ein heftiger Sturm über den Kontrahenten hinweg. 5:1 hieß es bei Abpfiff für St. Louis. Beinahe noch bemerkenswerter: Rund 15.000 der ursprünglich 22.500 erwarteten Zuschauer waren trotz der Widrigkeiten in den Citypark im Herzen der Stadt zurückgekehrt und feierten den SL City SC bis spät in die Nacht.

Sportdirektor Lutz Pfannenstiel wurde ob dieser Szenen ein bisschen sentimental. “Ich kann das Gefühl gar nicht beschreiben”, gab er zu Protokoll. Wohl auch, weil dieser 16. April 2023 ein weiteres Kapitel in einer Geschichte markiert, die es so im modernen Fußball eigentlich gar nicht mehr gibt.

Vom hoffnungslosen Fall zum Rekordteam

Als St. Louis Ende Februar als 29. Mannschaft in die MLS startete, setzten die vermeintlichen Experten keinen Pfifferling auf den Neuling. Selbst auf der offiziellen Liga-Website war zu lesen, dass es dem Team “auf dem Papier im Vergleich mit fast jedem Gegner eindeutig an Talent mangelt”. Die Mannschaft wurde als hoffnungsloser Fall abgestempelt, ihr Scheitern galt als vorprogrammiert.

Deutsches Duo in den USA: Sportdirektor Lutz Pfannenstiel (hi.) und Eduard Löwen schwimmen mit St. Louis auf einer Erfolgswelle. (Quelle: IMAGO/Jeff Curry)

Was seitdem passiert, sorgt selbst im US-Sport, der reich an “From zero to hero”-Geschichten ist, für massive Verwunderung: St. Louis startete mit fünf Siegen, brach den MLS-Startrekord (aufgrund des besseren Torverhältnisses) und rangiert nach zehn Spieltagen auf Platz zwei der Western Conference. Und zwar mit dem – laut der Plattform “Transfermarkt.de” – zu Saisonbeginn deutlich geringsten Kaderwert der Liga.

Mittlerweile schreibt die MLS-Website nicht mehr von “mangelndem Talent”, sondern von einer “Cinderella Story” und selbst Manager Pfannenstiel, der in der Bundesliga für Fortuna Düsseldorf arbeitete, den Klub 2020 aber auf eigenen Wunsch verließ, muss sich manchmal zwicken.

“Niemand konnte erwarten, dass wir so gut starten”, erklärt der 49-Jährige t-online.de und tritt dann direkt auf die Euphoriebremse: “Es wird auch Phasen geben, wo es nicht so gut läuft, und genau dann ist es wichtig, dass wir besonnen und gezielt weiterarbeiten.”

In seinen Worten schwingen die Erfahrungen der vergangenen zweieinhalb Jahre mit. In dieser Zeit plante der 49-Jährige den neuen Klub am Reißbrett und baute diesen quasi aus dem Nichts auf – samt Stadion, Trainingsgelände und natürlich Mannschaft (Lesen Sie hier mehr zu Lutz Pfannenstiels ungewöhnlicher Aufgabe im Herzen der USA.). Mit allem Drum und Dran hat die Neugründung knapp eine Milliarde Dollar gekostet.

Talentsuche zwischen Kornfeldern

Möglich machte das eine finanzstarke Investorengruppe aus Erben der Enterprise-Autovermietung, die in St. Louis ihren Hauptsitz hat. Großmannssucht ist in der Stadt, deren Bürger einst Flugpionier Charles Lindbergh bei seiner Atlantiküberquerung mit der “Spirit of St. Louis” unterstützten und die 1904 die Olympischen Spiele ausrichtete, allerdings nicht angesagt. Im Gegenteil.

Beim SL City SC wird die Nachwuchsarbeit großgeschrieben. Dazu klapperte Pfannenstiel zu Beginn seines Engagements die Dorfplätze und High-School-Turniere der Umgebung ab – und arbeitete bis zu 18 Stunden täglich, wie er erklärt: “Dabei bin ich auf Jungs gestoßen, die jetzt in unserem Profiteam spielen. Einige davon habe ich quasi auf einem Kornfeld außerhalb von St. Louis entdeckt.” (Lesen Sie hier mehr zu seinen ungewöhnlichen Talentsichtungen.).

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