Die Union dringt darauf, Flüchtlinge an den deutschen Grenzen zurückzuweisen. Die niedersächsische Innenministerin Behrens von der SPD sagt: Alles, was rechtlich möglich ist, müsse die Politik jetzt versuchen. Die Lage sei ernst.
Es war die Toprunde zum derzeitigen Topthema: Am Dienstagnachmittag kamen Vertreter von Bundesregierung, CDU/CSU und Ländern zum Migrationsgipfel zusammen. Das oberste Ziel: Gemeinsam Wege finden, um die irreguläre Migration zu begrenzen.
Ein hochumstrittener Vorschlag der Union liegt seither auf dem Tisch: Flüchtlinge sollen an den Grenzen zurückgewiesen werden. Was Deutschland selbst in der großen Flüchtlingskrise 2015/2016 nicht tat, wird nun sehr ernsthaft erwogen.
Die niedersächsische Innenministerin Daniela Behrens (SPD) saß am Dienstag mit am Tisch. Im Gespräch mit t-online erklärt sie, warum sie dem Vorschlag offen gegenübersteht – und weshalb sie auch mehr Abschiebeflüge nach Afghanistan will.
Frau Behrens, Sie saßen gestern beim Migrationsgipfel mit am Tisch. Die große Frage und das große Begehr der Union dort: die Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze. Wie kam das an?
Daniela Behrens: Wir haben sehr konstruktiv diskutiert und sind uns alle einig: Wir müssen den enormen Migrationsdruck, den es auf Deutschland gibt, reduzieren. Zwar kommen in diesem Jahr weniger Flüchtlinge zu uns als im vergangenen Jahr. Aber es kommen weiterhin viele Menschen – und ein hoher Anteil dieser Personen wird in Deutschland kein Asyl erhalten. Um diese Menschen, die kein Asyl bekommen, also keine Bleibeperspektive haben, geht es.
Daniela Behrens, 56 Jahre alt, ist seit Januar 2023 Innenministerin in Niedersachsen. Sie übernahm das Amt von Boris Pistorius, als der ins Bundesverteidigungsministerium wechselte. Zuvor war Behrens zwei Jahre lang niedersächsische Gesundheits- und Sozialministerin, davor Abteilungsleiterin im Bundesfamilienministerium. Sie hat Politikwissenschaften in Bremen studiert.
Zurückweisungen an der Grenze wären für Deutschland ein absolutes Novum, auch Experten äußern sich mit Blick auf die Rechtslage in der EU äußerst kritisch. Wie soll das funktionieren?
Bisher ist die vorherrschende Rechtsmeinung: Zurückweisungen an der Grenze sind nicht mit geltendem EU-Recht vereinbar. Die Union hat hier eine andere Ansicht. Sie verweist auf ein Gutachten aus Hessen, das zu einem anderen Schluss kommt.
Ist das mit Ihnen, mit Ihrer Partei denn überhaupt zu machen?
Meine Meinung ist: Wenn es rechtlich möglich sein sollte – und das muss sehr gründlich geprüft werden – dann sollten wir es tun. Ich denke, dahinter können sich die SPD-Länder versammeln. Das ist möglicherweise auch ein wichtiges Signal an die anderen EU-Länder, damit der Solidaritätsmechanismus wieder mehr greift. Wenn es rechtlich nicht möglich ist, dann müssen wir es lassen. Wir sind und bleiben ein Rechtsstaat.
Schaffen Sie damit nicht das Asylrecht ab?
Das Asylrecht ist unanfechtbar. Es ist ein elementarer Bestandteil des Grundgesetzes und eine Lehre aus unserer Vergangenheit. Für uns als SPD gibt es da gar keine Debatte. Nur wird das Asylrecht im Moment zu oft missbraucht, auch von Menschen, die andere Möglichkeiten hätten, nach Deutschland zu kommen. Und diesen Missbrauch müssen wir beenden. Viele Menschen, die sich bei ihrer Einreise darauf berufen, haben gar keine Chance, asylrechtlichen Schutz zu erhalten – und bleiben dann trotzdem zu lange im Land.
Das wäre ein sehr weitreichender Schritt, auf EU-Ebene dürfte ein Dominoeffekt drohen.
Wir sind uns alle dieser Verantwortung bewusst. Aber wahr ist doch: Dublin ist weitestgehend gescheitert. Der Verteilungsmechanismus in der EU funktioniert nicht – und Deutschland trägt mit einigen wenigen EU-Ländern die Hauptlast. Uns erreichen viele Geflüchtete, die uns eigentlich gar nicht erreichen dürften. Besonders Staaten in Ost- und Südeuropa lassen viele Menschen nach Deutschland durchreisen. Auch mit dem Verweis: Sie wollen zu euch, nicht zu uns. Der Druck auf uns ist deswegen enorm. Und die Bürgerinnen und Bürger hier sind immer weniger bereit, ihn zu tragen.
Warum? Was hören Sie in Niedersachsen?
Die Kommunen sind sehr engagiert. Ich bewundere sehr, was die Landkreise, Städte und Gemeinden leisten. Sie kümmern sich, so gut sie nur können. Aber der Druck ist nun schon seit rund zehn Jahren sehr hoch. Das ist spürbar in Kindergärten, Schulen, bei der sozialen Infrastruktur und auf dem Wohnungsmarkt. Es kommt auch immer häufiger zu Protesten, wenn wir neue Unterkünfte für Geflüchtete einrichten wollen. Außerdem ist es immer schwieriger, den Geflüchteten gerecht zu werden. Deutsch- und Integrationskurse fehlen, Fachkräfte in der Betreuung fehlen. Die notwendige Integration ist derzeit nur schwer zu leisten.