Die SPD richtet sich auf eine historische Niederlage ein. Aber taugt sie dann zum Koalitionspartner? Friedrich Merz muss als Kanzler Erfolg haben, sonst bricht die letzte Säule der alten Demokratie weg.

Wer über die SPD schreibt, steht vor einer Entscheidung: Entweder Sarkasmus über ihre ewige Zerrissenheit walten zu lassen oder den Niedergang dieser ältesten deutschen Partei als Tragödie zu sehen. Ich tendiere zur Tragödie.

Kennzeichen einer Volkspartei sind 40 Prozent. Die SPD drang zuletzt 1998 mit Gerhard Schröder in diese Sphäre vor; der Altkanzler verabschiedete sich im Jahr 2005 mit 34,2 Prozent. Bald fiel die SPD in die 20er-Marke zurück. Im Jahr 2017 war sie mit 20,5 Prozent am Tiefpunkt angelangt; der Kanzlerkandidat hieß Martin Schulz.

Aber wie erleichtert wäre die SPD, wenn sie am 23. Februar 2025 mehr als 20 Prozent bekäme. Was wäre sie selig, wenn sie besser abschneiden dürfte als die AfD. Es ist ihr Albtraum, hinter die in Teilen rechtsextreme Partei zurückzufallen.

(Quelle: Privat)

Gerhard Spörl interessiert sich seit jeher für weltpolitische Ereignisse und Veränderungen, die natürlich auch Deutschlands Rolle im internationalen Gefüge berühren. Er arbeitete in leitenden Positionen in der „Zeit“ und im „Spiegel“, war zwischendurch Korrespondent in den USA und schreibt heute Bücher, am liebsten über historische Themen.

Das Argument für Boris Pistorius lautete ja, dass er populär ist und folglich mehr Stimmen auf sich ziehen kann. Das Gegenargument war aber auch nicht zu verachten, weil Pistorius als Verteidigungsminister einen Bonus hatte, der ihm als Kanzlerkandidat rasch abhandenkommen kann. Auch Martin Schulz war anfangs als Abkömmling des Europa-Parlaments ungemein beliebt, bis er es nicht mehr war.

In Wahrheit steckte die SPD nicht nur deshalb in der Zwickmühle, weil Olaf Scholz wie selbstverständlich den Anspruch erhob, als Kanzler auch der Kandidat zu sein. Pistorius hingegen wollte nicht sein, was ihm nicht kampflos zufiel. Folglich zieht die SPD mit dem unbeliebtesten Kandidaten, der sich denken lässt, in den Wahlkampf.

Daran fällt zweierlei auf: Erstens zermartert sich die SPD, wer es machen soll, als hinge alles von der Person ab – als wäre sie so etwas wie das BSW mit ihrem Personenkult. Zweitens ist nicht annähernd geklärt, wofür die SPD steht, was sie will. Sie gibt nach wie vor keinen Grund zu erkennen, weshalb mehr als die allertreuesten Wähler für sie stimmen sollten.

An einem Mangel an Klarheit litt die Ampel auch deshalb, weil die SPD am Mangel an Klarheit krankte. Anfangs wollte sie, was die Grünen wollten – ökologische Transformation der Gesellschaft. Dann wollte sie, was die FDP wollte – solide Finanzen. Und der eigene Beitrag konzentrierte sich auf Hubertus Heil, der immerhin eine Vorstellung davon hat, wofür die SPD in der Regierung saß. Wichtigster Punkt: der Mindestlohn. Übrigens wollte schon Gerhard Schröder seine pro-kapitalistischen Reformen damit verbinden, scheiterte damals aber an den Gewerkschaften.

Heil ist auch das Bürgergeld zu verdanken. Dabei geht es nicht nur um viel Geld, sondern auch um ein Menschenbild. Der Empfänger von Bürgergeld aus SPD-Sicht ist ein guter Mensch, der für die großzügige Unterstützung des Staats Dankbarkeit zeigt und sich umso mehr darum bemüht, einen Job zu finden. Dass der Bürgergeld-Bedachte sich fragen könnte, ob Arbeit sich lohnt, wenn doch der Staat so freundlich ist, ihm Geld zu schenken, von dem sich leben lässt, ist eigentlich in Heils Weltbild nicht vorgesehen.

Was von der SPD in der Ampelregierung haften bleibt, ist die Reduktion auf den Wohlfahrtsstaat. Nebenher läuft die Tradition der Entspannungspolitik, die inzwischen auf einen undefinierten Pazifismus zusammengeschnurrt ist. Dazu kommt ein schlechtes Gewissen, weil es ihr an Kraft und Willen fehlt, sich dem Rechtsdrall im politischen System zu widersetzen.

Da es der SPD an Ideen fehlt, fehlt es ihr an Anziehungskraft in das Bürgertum hinein. Ohne die Mitte der Gesellschaft sind aber 30 Prozent eine Utopie. Die alte Arbeiterpartei kann sie nicht mehr sein, Ersatz findet sich nicht leicht. Der Wohlfahrtsstaat saugt sehr viel vom Bundesbudget ab. Was der Staat aber einmal gewährt hat, kann er nicht zurücknehmen, siehe das Deutschlandticket.

Die SPD-Führung ist ratlos. Und die Besserwisser von gestern kritisieren mit Vergnügen das Durcheinander von ihren Aufsichtsratsposten aus, wie zum Beispiel Sigmar Gabriel, einst Vorsitzender, der jedoch die Kanzlerkandidatur scheute.

Was tun? Die Grünen sind eigentlich der natürliche Partner, weil sie im Wesentlichen aus der SPD hervorgingen. Ökologie könnte der Anker sein, ist es aber nicht mehr seit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine. So sind Grüne und SPD zwei Waidwunde nach drei Jahren Ampel.

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