Wie entsteht eigentlich das Skelett eines Embryos? Dieser Frage sind britische Wissenschaftler nachgegangen. Herausgekommen sind einmalige Aufnahmen.

Stellen Sie sich vor, wir könnten die Entwicklung eines menschlichen Embryos im Mutterleib von Anfang an beobachten und verstehen. Ein Team von Wissenschaftlern hat nun tatsächlich bis auf die einzelnen Zellen genau entschlüsselt, wie das Skelett eines ungeborenen Kindes entsteht und wächst. Forscher um Ken To vom Wellcome Sanger Institute in Großbritannien haben ihre Erkenntnisse kürzlich im renommierten Fachjournal „Nature“ veröffentlicht.

Wir alle beginnen unser Leben als eine einzelne befruchtete Eizelle. Doch wie aus dieser Zelle alle Zelltypen, Gewebe und Organe entstehen, war bisher nur in Teilen bekannt. Jetzt haben die Forscher eine Art „Zellatlas“ der menschlichen Skelettbildung erstellt, der zeigt, wie Knochen durch spezifische Gene und ihre Interaktionen gebildet werden.

Für ihre Studie analysierten die Wissenschaftler Gewebeproben von Embryos aus dem ersten Drittel der Schwangerschaft – also etwa fünf bis elf Wochen nach der Befruchtung. Sie bestimmten für jede Zelle in den Bildungsorten des kindlichen Skeletts und Schädels die aktiven Gene sowie deren sogenannte epigenetische Markierungen.

Das Ergebnis ist faszinierend: Die Bildung der menschlichen Knochen beginnt etwa sechs bis acht Wochen nach der Befruchtung – genau zu jener Zeit, in der aus dem Embryo ein Fötus wird. In den Gliedmaßen dienen zunächst Knorpelzellen als „Wegweiser“ und Gerüst für die entstehenden Knochen. Diese Knorpelgerüste werden ab der achten Schwangerschaftswoche nach und nach durch Knochengewebe ersetzt.

Studienautor Ken To erläuterte: „Es gibt unzählige Prozesse, die während der Entwicklung des menschlichen Skeletts und der Gelenke zusammenwirken. Unsere Forschung hat nun die Zelltypen und Mechanismen charakterisiert, die an der Bildung der Gliedmaßen und des Schädels beteiligt sind.“ Dabei zeigten sich auch einige zuvor unbekannte Zelltypen und Signalwege sowie Unterschiede zur Skelettentwicklung bei Mäusen.

Die Entwicklung des Schädels läuft jedoch anders ab als die der restlichen Knochen: Für das Schädeldach bildet sich kein vorläufiges Gerüst aus Knorpelzellen. Stattdessen vermehren sich knochenbildende Zellen direkt in einer Membranhülle des kindlichen Schädels. Diese Knochenvorläufer erscheinen an den Rändern späterer Stirn- und Scheitelknochen und sorgen dafür, dass diese Bereiche allmählich verknöchern, während die Schädelnähte weich bleiben. Dieser Mechanismus ist entscheidend dafür, dass das Gehirn genügend Platz zum Wachsen hat.

Das Forscherteam hat zudem untersucht, wie 65 gängige Medikamente die Skelettentwicklung des Embryos beeinträchtigen können. Schwangere Frauen sollten bestimmte Medikamente meiden, da diese Fehlbildungen verursachen können. „Unsere Analysen erlauben es nun, die Knochenzelllinien zu identifizieren, deren Genaktivität durch diese teratogenen Wirkstoffe verändert werden“, berichteten To und seine Kollegen. Dank der neuen Erkenntnisse lassen sich Medikamente spezifischer auf Nebenwirkungen testen – und so sicherer machen.

Die Studienautoren sind sich sicher: Der neue Zellatlas stellt ein wichtiges Werkzeug für künftige medizinische Forschung dar. Neben dem Skelett wurden bereits andere Organe kartiert: Dazu zählen das Verdauungssystem, Teile des Gehirns sowie Elemente des Immunsystems. Insgesamt sind 40 Fachartikel zum aktuellen Stand dieser Kartierungen erschienen.

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