Sicherheitsrisiko AfD? Putins Professor und sein umtriebiger Assistent
Der langjährige AfD-Chef Alexander Gauland (Mitte links) und Ex-Spitzenkandidat Maximilian Krah schütteln sich 2025 im Bundestag die Hand: Sie unterstützten 2022 beide Neuhoffs radikale EU-Resolution. (Quelle: IMAGO/MICHAEL BIHLMAYER/imago)

Es soll ein mächtiger Aufschlag sein, der die AfD programmatisch neu ausrichten soll. Weg von der simplen „Dexit“-Forderung, also dem Ruf nach dem Austritt Deutschlands aus der EU. Viele, vor allem Russlandfreunde wie Rechtsextreme, waren damit unzufrieden.

Was Neuhoff und Höcke entwerfen, ist allerdings noch weit radikaler: Sie wollen nicht mehr nur aus der EU austreten, sondern fordern gleich ihre „Auflösung“. Das EU-Parlament, der Euro-Währungsraum, die gesamte EU-Gesetzgebung – sie sollen weg, fordert die Resolution.

Keine andere rechte Partei in Europa vertritt diese Position in dieser Härte, zumindest keine von Bedeutung. Das hat seine Gründe: Es bedeutet den Bruch mit der westlichen Nachkriegsordnung. Und ein unberechenbares wirtschaftliches Risiko.

Es ist zugleich eine Vision von Europa, die die vollste Zustimmung des Kremls finden dürfte. Eine Kampfansage an den liberalen Westen.

In der neuen europäischen „Wirtschafts- und Interessengemeinschaft“, die Neuhoff und Höcke statt der EU vorschwebt, sind drei Begriffe zentral: die „multipolare Weltordnung“ – und sogenannte „Großräume“ als Gegensatz zum „Universalismus“.

Das letztere Begriffspaar geht im Kern auf Theorien des anti-liberalen Staatsrechtlers Carl Schmitt zurück, der zum „Kronjuristen“ des Nationalsozialismus wurde. Seine Sicht hat bei Ideologen und Autokraten weltweit glühende Anhänger gefunden: in der AfD ebenso wie im Umkreis des Kremls, in Xi Jinpings Machtapparat und in Donald Trumps Regierung.

Außenpolitisch dominant: Russlands Präsident Wladimir Putin (l.), US-Präsident Donald Trump. (Quelle: Susan Walsh/AP/dpa/dpa-bilder)

Die Welt ist bei Schmitt in „Großräume“ aufgeteilt, in denen Hegemonialmächte nach ihren eigenen Regeln verfahren können. Eine Rechtsordnung ist nachgeordnet, die politische Macht entscheidet.

Putin folgt dieser Logik nicht nur mit dem Ukraine-Krieg, Trump mit seiner „America first“-Politik. „Deutschland zuerst“, rufen inzwischen AfD-Politiker ganz ähnlich bei Veranstaltungen.

2022 aber regiert Trump gerade nicht. Neuhoffs und Höckes Wunschpartner für ihr neues Europa ist deswegen recht eindeutig: Russland. „Ausgleich mit Russland“ ist ein Absatz benannt, in dem die Kooperation mit der „Eurasischen Wirtschaftszone“ gefordert wird. Die Ukraine? In Neuhoffs Vision lediglich ein „blockfreier und neutraler Brückenstaat“. Putins völkerrechtswidriger Krieg gegen das Land wird nicht einmal als solcher benannt. Stattdessen ist vom „Ukraine-Konflikt“ die Rede.

Als die Resolution in Riesa vorgestellt werden soll, ist Neuhoff nicht an seinem Platz. Stattdessen tritt Björn Höcke ans Mikrofon. Unvorbereitet redet er sich rasch in Fahrt: Die EU müsse überwunden werden, sagt er, sie sei das „Anti-Europa“, eine „Globalisierungsinstanz“. Sie sei zerfressen von Dekadenz und raube, „was wir lieben und wofür wir leben“: geschlechtliche wie kulturelle Identität, „unser Menschsein“.

Wettern gegen die EU: Björn Höcke am Mikrofon auf dem Parteitag in Riesa. (Quelle: Youtube-Kanal: AfD TV; Livestream: „Tag 3 des AfD-Bundesparteitages im sächsischen Riesa“ )

Doch Höcke und Neuhoff haben sich verzettelt. Noch ist die AfD nicht so weit. Zu frisch ist der Eindruck des Kriegs, den Russland entfesselt hat – und zu groß die Sorge, vor allem bei Funktionären aus dem Westen, dass die Resolution sie unwählbar macht.

„Inakzeptabel“, rufen Gegner an den Saalmikrofonen mit Blick auf die Russlandnähe. Oder: „Keine andere rechte Partei in Europa fordert das!“, mit Blick auf die Auflösung der EU.

Schließlich zieht man die Reißleine: Die Abstimmung wird vertagt, der Parteitag im Chaos beendet.

Doch für Neuhoffs Ideen ist Riesa nicht das Ende, sondern erst das Sprungbrett – und ebenso für seine Parteikarriere in der ersten Reihe. 2023 versammelt sich die AfD erneut, dieses Mal in Magdeburg. An zwei Wochenenden bestimmt sie erst ihre Kandidaten, dann das Programm für die so wichtige Europawahl im kommenden Jahr. Auf beiden Feldern spielt Neuhoff eine wichtige Rolle.

Der Entwurf für den Leitantrag für das EU-Wahlprogramm der AfD macht schon Wochen vor dem Parteitag Schlagzeilen. Dort nämlich ist wieder von der „Auflösung der EU“ die Rede. Erstellt wurde er von der Bundesprogrammkommission, der BPK, der unter anderem die AfD-Chefs angehören – und Neuhoff. Die Presse greift die Forderung nun breit auf. Die BPK legt daraufhin eine rasante Kehrtwende hin und zieht den Begriff in einem Änderungsantrag für Magdeburg selbst zurück: „Redaktionelles Versehen bei der Präambelerstellung ohne Beschlusslage der BPK“, heißt es da.

Der Begriff „Auflösung der EU“ wird von da an vermieden. Der Sinn aber bleibt vollkommen erhalten: „Wir halten die EU für nicht reformierbar und sehen sie als gescheitertes Projekt“, heißt es im Programm, das die AfD in Magdeburg am Ende beschließt. Man strebe stattdessen eine „neu zu gründende europäische Wirtschafts- und Interessengemeinschaft“ an, „in der die Souveränität der Mitgliedstaaten gewahrt ist“.

Es ist der zentrale Leitgedanke der Neuhoff-Höcke-Resolution. Zwar ist keine Rede mehr von „Großraum“ oder „Universalismus“, andere Ideen und zum Teil ganze wortgleiche Passagen werden aus der Riesa-Resolution aber übernommen: zum Beispiel die „multipolare Weltordnung“ sowie eine zu errichtende „Festung Europas“ mit physischen Barrieren und Grenzschutz an Europas Außengrenzen.

Außenpolitisch besiegelt die AfD ihre Öffnung zu Russland sogar noch stärker: „Die Beziehungen Deutschlands zur Eurasischen Wirtschaftsunion sollen ausgebaut werden“, heißt es ähnlich wie bei Neuhoff und Höcke ein Jahr zuvor. Hinzu kommen nun noch: die Forderung nach sofortiger Aufhebung aller Sanktionen gegen Russland und die Instandsetzung der Nord-Stream-Pipelines. Waffenlieferungen „in Kriegsgebiete“, also auch in die angegriffene Ukraine, werden abgelehnt. Ukrainische Flüchtlinge sollen nicht mehr in Deutschland aufgenommen, sondern „weitergeleitet“ werden.

Parteitag in Magdeburg 2023: AfD-Delegierte stimmen hinter Pappaufstellern, die als Wahlkabinen dienen, über Personal und Programm für die EU-Wahl ab. (Quelle: IMAGO/dts Nachrichtenagentur)

Inhaltlich hat Neuhoff seine Linie damit weitgehend durchgesetzt. Und er triumphiert auch personell: Bei der Wahl der Kandidaten für das EU-Parlament wird er, der immer noch graue, bei vielen unbekannte Professor von der Versammlung in Magdeburg auf Platz 8 als Kandidat für die EU-Wahl gesetzt. Damit ist ihm der Einzug ins EU-Parlament sicher.

Die Kandidatenliste ist im Voraus abgestimmt worden. Neuhoff hat seinen Platz maßgeblich den Landeschefs Höcke in Thüringen und Vincentz in NRW zu verdanken. Und Neuhoff sorgt umgehend für einen Gleichgesinnten in seinem künftigen Büro: Er sagt, er habe Erler gleich nach seiner Kandidatur, ob der in Brüssel sein Assistent werden wolle. Wer dort bei Abgeordneten eingestellt wird, muss keine Sicherheitsprüfung durchlaufen.

Ob ihn die Gerüchte und Vorbehalte gegen Erler nicht gestört hätten? „Gerüchte, unqualifizierte Vorbehalte und grundlose Verdächtigungen“ könnten gegen Berufserfahrung, „erstklassige Zeugnisse“ und einen „hervorragenden persönlichen Eindruck“ nichts ausrichten, so Neuhoff.

Dass er den Satz geäußert habe, er habe zuverlässige Informationen „aus Geheimdienstkreisen“ über den Ukraine-Krieg, dementiert Neuhoff hingegen nicht. „Ich erhalte über einen Mittelsmann regelmäßig Informationen aus Kreisen der ukrainischen militärischen Führung“, teilt er auf Anfrage mit.

Das könnte Behörden in der Ukraine hellhörig machen: Erst kürzlich musste eine geplante Reise des EU-Verteidigungsausschusses umgeplant werden, weil das Land Neuhoff aus Sicherheitsgründen womöglich die Einreise verweigert hätte, wie die „Welt“ berichtete. Die ukrainische Botschaft teilte dazu mit, seine prorussischen Äußerungen seien ihr „selbstverständlich bekannt“.

6. In Brüssel, für Russland

Das Duo Neuhoff-Erler hat seit seinem Einzug ins Europaparlament eine exzellente Ausgangslage, um seine Ideen weiterzuverbreiten und sich noch stärker zu vernetzen, zudem Zugriff auf sensible Dokumente: Neuhoff sitzt ab Sommer 2024 als Abgeordneter in Brüssel im Ausschuss für Sicherheit und Verteidigung, stellvertretend auch im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten.

Er und Sergej Erler gelten in der Rechtsaußen-Fraktion, der die AfD angehört, als äußerst fleißig – allerdings nur zu den Themen, die sie umtreiben. Auf Neuhoffs YouTube-Kanal sammeln sich die Reden, die er im Parlament hält: „Darum muss die Ukraine kapitulieren!“ oder „Nein zur Brüsseler Militärunion!“ sind sie betitelt.

Neuhoff (l.) und Erler (M.) in einer Videoschalte mit dem russischen Parlament: Wenig später reisten sie nach Russland. (Quelle: Duma)

Anfang Oktober nehmen Neuhoff und Sergej Erler mit anderen EU-Parlamentariern an einer Videoschalte mit Abgeordneten des russischen Parlaments Duma teil. Fotos, die t-online und „Focus“ vorliegen, zeigen die beiden in der Konferenz. Das Anliegen der Russen: Die Sanktionen gegen Russland kippen, Gas- und Öllieferungen in die EU wieder fließen lassen – und so Putins Kriegskasse füllen. Andere Fraktionen im EU-Parlament protestieren vehement gegen den Austausch.

Neuhoff kümmert das nicht. Kurz darauf, Mitte November, reist er mit einer AfD-Delegation zu einer Konferenz nach Sotschi. Organisiert wird sie von kremltreuen Ukrainern um den Oligarchen Viktor Medwedtschuk, die in Europa seit Jahren lobbyieren und auch EU-Abgeordnete bestechen. Der zentrale Strippenzieher ist deswegen in Großbritannien angeklagt.

An Neuhoffs Seite bei dem Trip erneut: Sergej Erler, sein Assistent. Neuhoff lässt damals eine Frage von t-online dazu unbeantwortet. Andere Mitreisende bestreiten vorab, dass Erler teilnimmt. Doch Erler taucht auf Fotos in Sotschi auf, die t-online und Focus ebenfalls vorliegen.

Erler (3.v.r.) im Publikum im Sotschi: Direkt daneben sitzt Neuhoff, wie auf anderen Fotos zu sehen ist. (Quelle: imago images/Grigory Sysoev/imago-images-bilder)

Stargast auf der Konferenz ist Dmitri Medwedew, Putins Lautsprecher. Die AfD-Spitze hat ihrer Delegation ein Treffen untersagt – es ist eine der roten Linien, die sie zieht. Ob sie gehalten wird, lässt sich nicht überprüfen. Neuhoff sagt, es habe kein Treffen gegeben. Nachweisbar aber pflegt er in Russland andere hochrangige Kontakte: Unter anderem tauscht er sich in engstem Kreis mit Leonid Sluzki aus, dem kremltreuen Chef des Außenpolitischen Ausschusses der russischen Staatsduma. Mit ihm hat er bereits in der Videoschalte konferiert.

Das alles geschieht wieder in einer für die Programmatik der AfD entscheidenden Zeit. 12 Jahre nach ihrer Gründung will sich die Partei ein neues Grundsatzprogramm geben. Die Arbeiten haben gerade begonnen, bis 2027 soll es fertig sein. Alle bisherigen Positionen sollen auf den Prüfstand: das Verhältnis zur Bundeswehr und Wehrpflicht, zu Russland, den USA und der EU.

Der Professor und sein Assistent werden ohne Frage ihren Anteil daran haben. Neuhoff sitzt in der Bundesprogrammkommission und dem -fachausschuss, den wichtigsten Programmgremien. Sergej Erler ist dank Neuhoffs Fürsprache gerade in den Landesfachausschuss NRW für Außen- und Verteidigungspolitik aufgenommen worden.

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