Teilzeit-Krankschreibungen erlauben in Schweden, dass leicht erkrankte Beschäftigte ihre Arbeit teilweise ausüben können. Ist das Modell auch für Deutschland geeignet?

Das Gesundheitswesen in Deutschland unterscheidet grundsätzlich zwischen Arbeitsfähigkeit und Arbeitsunfähigkeit. Wer arbeitsunfähig ist, darf nicht arbeiten. Typische saisonale Erkrankungen wie Erkältungen müssen aber nicht zwangsläufig zu einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit führen.

Nun spricht sich Ärztepräsident Klaus Reinhardt dafür aus, dass Arbeitnehmer auch eine „Teilzeit-Krankschreibung“ für einige Stunden am Tag erhalten können. Der Präsident der Bundesärztekammer begründet dies damit, dass sich die Arbeitswelt in den vergangenen Jahren stark verändert habe, insbesondere durch die Digitalisierung und die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten.

Doch was ist eine Teilzeit-Krankschreibung und ist sie in Deutschland überhaupt möglich?

Das Teilkrankengeld (Teil-KG) oder die Teilarbeitsunfähigkeit (Teil-AU) ist Teil des Gesundheits- und Sozialsystems in Schweden und anderen skandinavischen Ländern. Es soll Beschäftigten trotz Krankheit ermöglichen, teilweise zu arbeiten, was positive Effekte auf die Rückkehrquote und Arbeitsfähigkeit zeigt.

Je nach Krankheit können Arbeitnehmer in Schweden zu 25, 50 oder 75 Prozent als arbeitsfähig eingestuft werden. Ärzte stellen die Diagnose und beurteilen neben den Funktionseinschränkungen auch die Fähigkeit, die berufliche Tätigkeit teilweise auszuüben.

Grundlage sind Richtlinien der staatlichen Sozialversicherung, die in den 1950er Jahren entwickelt und seitdem gemeinsam mit Ärzten verbessert wurden. Die Sozialversicherung entscheidet auf Empfehlung der Ärzte über die Höhe der Arbeitsfähigkeit.

Hoher Krankenstand belastet Kassen und Arbeitgeber

Hintergrund der Diskussion ist der hohe Krankenstand, der nicht nur die Sozialsysteme, sondern auch die Produktivität der Unternehmen belastet. In Deutschland haben die Krankschreibungen bereits vor den großen Infektionswellen im Winter ein Rekordniveau erreicht.

Dabei könne laut Reinhardt die Teilzeit-Krankschreibung für einige Stunden täglich eine praktikable Form sein, den neuen Möglichkeiten Rechnung tragen und zu mehr Flexibilität führen. Der Ärztepräsident betonte jedoch auch: „Klar ist natürlich, dass dabei das Wohlergehen und die ungefährdete Genesung der Erkrankten immer an erster Stelle stehen muss.“

Kann das Modell auf Deutschland übertragen werden?

Eine Übertragung des schwedischen Modells auf Deutschland ist nicht ohne Weiteres möglich. Das liegt vor allem daran, wie die Sozialsysteme aufgebaut sind und wer sie finanziert. Während in Deutschland die Krankenversicherung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern bezahlt wird, finanziert sich das schwedische Gesundheitssystem fast ausschließlich über die Einkommensteuer.

In Deutschland bekommen Arbeitnehmer ab dem ersten Krankheitstag ihr volles Gehalt. (Quelle: Drazen Zigic/getty-images-bilder)

In Schweden erhalten Arbeitnehmer von ihrem Arbeitgeber nur zwei Wochen lang etwa 80 Prozent ihres Gehalts als Krankengeld. Danach übernimmt die staatliche Sozialversicherung Försäkringskassan. Viele Schweden entscheiden sich daher, teilweise weiterzuarbeiten, um Lohnverluste zu vermeiden. In Deutschland sieht die Regelung anders aus: Hier bekommen Festangestellte ab dem ersten Krankheitstag ihr volles Gehalt für sechs Wochen vom Arbeitgeber gezahlt. Anschließend zahlen die Krankenkassen etwa 70 Prozent des Bruttogehalts als Krankengeld – bis zu 78 Wochen innerhalb von drei Jahren.

Das Bundesministerium für Gesundheit hat 2016 eine Studie in Auftrag gegeben, um die Erfahrungen der skandinavischen Länder mit dem Konzept der Teilarbeitsfähigkeit und des Teilkrankengeldes zu untersuchen.

Neben einer grundsätzlich positiven Bewertung des schwedischen Modells überwog die Skepsis, insbesondere hinsichtlich der Fähigkeit der Ärzte, das Ausmaß der Arbeitsfähigkeit richtig einzuschätzen. Hierzu wäre eine systemische Fortbildung der Ärzte notwendig, wie sie in Schweden seit 2003 durchgeführt wird. Eine weitere Schwierigkeit sehen die Gutachter darin, wie die Schnittstellen zwischen Arbeitgebern, Krankenkassen und der Sozialversicherung koordiniert werden können.

Empfohlen wird ein Perspektivenwechsel hin zur Nutzung der Teilarbeitsfähigkeit anstelle der bisherigen „Alles-oder-nichts-Regelung“, also entweder voll arbeitsfähig oder arbeitsunfähig. Weiterhin könnten zunächst Modellprojekte für spezifische Indikationen wie psychische oder Muskel-Skelett-Erkrankungen in Betracht gezogen werden.

Das einzige ähnliche Konzept ist das „Hamburger Modell“ zur stufenweisen Wiedereingliederung nach längerer Krankheit. Dabei wird die Arbeitszeit für Betroffene schrittweise erhöht. Reinhardt zufolge ließe sich diese Erfahrung auch auf weniger schwere Erkrankungen übertragen.

Als Beispiel nennt der Ärztepräsident „Bagatellinfekte“, bei denen der direkte Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen im Büro vermieden werden sollte. „In solchen Fällen bietet das Arbeiten im Homeoffice aber unter Umständen die Möglichkeit, im begrenzten Umfang berufliche Aufgaben wahrzunehmen und sich dennoch zu erholen.“

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