Normalerweise tritt Außenpolitik im Bundestagswahlkampf eher in den Hintergrund. Dieses Mal scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Sowohl Scholz als auch Merz wollen hier punkten. Nicht ohne Grund.
Es könnte das letzte Mal gewesen sein, dass Olaf Scholz gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron vor die Kameras getreten ist. Und doch wirkte alles ganz routiniert, als der Bundeskanzler an diesem Mittwoch in Paris eintraf. Vielleicht, weil es offiziell genau das war: ein Routinebesuch.
Anlass war der 62. Jahrestag des Élysée-Vertrags. Vor den versammelten Journalisten sagte der Kanzler, der Vertrag sei nicht nur ein Dokument der Aussöhnung, er sei auch ein Symbol der tiefen Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland. „Merci mon cher ami“ (Danke mein lieber Freund).
Dabei weiß der Kanzler, dass die Beziehungen zu Frankreich in den vergangenen Jahren nicht optimal liefen. Das Verhältnis der beiden Männer galt sogar lange als schwierig. In vielen wichtigen Fragen war man sich nicht einig, etwa, wenn es um den Ukraine-Krieg ging. Trotzdem nennt Scholz Macron einen „lieben Freund“. Betont in seinem Statement noch einmal: „Wir sind stark, wir stehen zusammen.“
Grund dafür: Entgegen dem ersten Eindruck war das Treffen eben doch keine reine Routine, sondern vor allem auch eine erste Absprache der beiden wichtigsten europäischen Partner zwei Tage nach der Vereidigung des US-Präsidenten Donald Trump. Der hatte schon in seiner Antrittsrede erste Pflöcke eingerammt, die auch Europa betreffen. Termine wie dieser sind deshalb in diesen Tagen und Wochen umso wichtiger für den Bundeskanzler. Denn der Bundestagswahlkampf findet dieses Mal nicht zuletzt auf außenpolitischer Bühne statt.
Das ist ungewöhnlich. Normalerweise rückt die Außenpolitik im Bundestagswahlkampf eher in den Hintergrund. In den vergangenen Wahlkämpfen ging es vielmehr um innenpolitische Themen wie Wirtschaft, Soziales oder Migrationspolitik. Dieses Mal ist es anders – weil die Lage eine andere ist. Der nach wie vor andauernde russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und der Amtsantritt des neuen und alten US-Präsidenten Donald Trump sind nur zwei der vielen aktuellen Herausforderungen im Ausland.
Sowohl Olaf Scholz als auch Friedrich Merz haben deshalb beschlossen, ihr Profil im Wahlkampf dahin gehend noch einmal zu schärfen. Scholz inszeniert sich als Friedenskanzler und macht die Unterstützung und Waffenlieferungen, konkret den Taurus, bewusst zum Thema. Merz gibt den Mr. Europa und Transatlantiker.
Tatsächlich liegen in den unterschiedlichen außenpolitischen Schwerpunkten beider Kandidaten auch ihre Stärken und andersherum die Schwächen des anderen. Merz etwa entscheidet sich bewusst für Europa und die USA als Fokus. Er kann hier mit Erfahrung punkten. Der CDU-Politiker saß in den frühen 90er-Jahren bereits über einige Jahre im Europaparlament und von 2009 bis 2019 war er zehn Jahre Vorsitzender der Atlantik-Brücke. Der Verein setzt sich für die Beziehungen im wirtschafts-, finanz-, bildungs- und militärpolitischen Verhältnis zwischen den USA und Deutschland ein.
Merz spielt die Themen bewusst prominent, weiß seine Vorteile hier für sich zu nutzen. Am vergangenen Wochenende lädt er die Spitzenvertreter der Europäischen Volkspartei EVP nach Berlin zu einem zweitägigen Treffen ein. Eine Demonstration, die auch zeigen soll: Mit Blick auf die bevorstehenden Krisen und Herausforderungen braucht es ein starkes Europa. Damit will der CDU-Chef zeigen, dass auch er den Staatsmann beherrscht, das Netzwerk besitzt und nicht zuletzt: schon jetzt die Wochen und Monate nach der Bundestagswahl vorbereitet.
Als der Kanzlerkandidat dem neuen US-Präsidenten zu seiner Amtseinführungen einen Brief schreibt, wird nicht nur dafür gesorgt, dass die Öffentlichkeit davon Wind bekommt, Merz veröffentlicht das gesamte Schreiben sogar auf seinen Accounts in den sozialen Medien. Die Botschaft: Seht her, wir dürfen keine Zeit verlieren, deshalb kümmere ich mich jetzt schon um unsere transatlantischen Beziehungen.
Scholz hingegen weiß, dass er als Kanzler den Vorteil der Erfahrung und gleichzeitig den Nachteil der bisher gemachten Fehler mit sich bringt. Er kennt die außenpolitische Bühne nicht erst aus seiner Zeit als Bundeskanzler, sondern auch aus den Jahren davor als Minister und Vizekanzler. Gleichwohl legt er den Fokus im Wahlkampf bewusst auf die Ukraine, den Friedenskanzler.