In Olaf Scholz‘ Wahlkreis herrscht verkehrte Welt: Der Kanzler liegt in den Umfragen vorn, dicht gefolgt von der CDU-Kandidatin Tabea Gutschmidt. Obwohl sie dort vielen unbekannt ist, will sie beweisen, trotzdem gewinnen zu können. Nur wie?

Um halb sechs stellt sie sich für ihren Praktikumstag bei der Müllabfuhr in Potsdam vor: „Hallo, ich bin Tabea Gutschmidt, die Neue von der CDU.“ Sie tauscht ihren rosafarbenen Steppmantel gegen Latzhose und Jacke in leuchtendem Orange. Es ist schließlich Wahlkampf.

Neu ist für Tabea Gutschmidt an diesem Tag nicht nur die Müllabfuhr. Neu ist für sie auch dieser politische Wahlkampf. Gutschmidt tritt zum ersten Mal als CDU-Direktkandidatin für den Bundestag an. Und dann auch gleich gegen den prominentesten Gegner, den man sich vorstellen kann: Olaf Scholz. Es ist ein Wahlkampf unter umgekehrten Vorzeichen: Auf Bundesebene hechelt Scholz seinem Gegner Friedrich Merz in den Umfragen weit abgeschlagen hinterher. In seinem eigenen Wahlkreis Potsdam-Mittelmark II – Teltow-Fläming II hingegen ist der Kanzler der Favorit und liegt laut einer aktuellen Umfrage bei 25 Prozent. Gutschmidt folgt ihm dicht dahinter mit 22 Prozent. Zudem tritt eine weitere Prominente hier an: Annalena Baerbock.

Gutschmidt ist die Unbekannte. Sie ist 45 Jahre alt, geboren in der DDR, ausgebildete Fotografin, erst seit neun Jahren CDU-Mitglied und seit 2021 Mitarbeiterin des Bundestagsabgeordneten Christoph de Vries. Jetzt möchte sie selbst in den Bundestag. Aber wie will sie das schaffen im kürzesten Wahlkampf, den es je gab?

Es ist ein kalter Morgen, Anfang Februar, als Tabea Gutschmidt mit dem Müllwagen durch die Straßen Potsdams rollt. Gutschmidt macht einen Praktikumstag bei der Müllabfuhr, um – wie sie sagt – solche Berufe sichtbarer zu machen. Sie will sich den Leuten vorstellen und zeigen: Seht her, ich bin eine von euch. Dass es auch gute Fotos für den Wahlkampf liefert, sagt sie zwar nicht. Es ist aber ein hilfreicher Nebeneffekt. Der Wagen surrt, quietscht und poltert, aber es stinkt nicht. Die Metallmaschinerie im Innern drückt den geruchlosen Plastikmüll zusammen. Tabea Gutschmidt schiebt eine gelbe Tonne dicht an den orangefarbenen Lkw heran. Der Greifarm, der eigentlich dafür da ist, dass die Tonne nach oben befördert und ihr Inhalt in den Container geschüttet wird, reagiert nicht. Gutschmidt braucht Hilfe. Der Müllwerker, so die offizielle Berufsbezeichnung der Mitarbeiter der Müllentsorgung, erklärt ihr, wie sie die Tonne korrekt an das Müllauto schiebt.

Im Scholz-Wahlkreis dominierte lange Zeit die SPD, dicht gefolgt von den Grünen. Inzwischen liegt die AfD in aktuellen Umfragen bei 19 Prozent, knapp hinter SPD und CDU. „So rot-grün, wie alle denken, ist es hier nicht mehr“, sagt Gutschmidt, während sie dabei zusieht, wie die Greifarme des Müllwagens die geleerte Tonne zurück in Richtung Boden ruckeln. Hier vermutet Gutschmidt daher ihr Potenzial: „Ich will, dass die Bürger mich wählen und nicht aus Frust die AfD.“

Da geht es ihr wie ihrem Parteivorsitzenden Merz. Auch er versucht, der AfD Stimmen abzuzien. Es ist an diesem Februarmorgen zwei Wochen her, dass der CDU-Chef die fehlgeleitete Migrationspolitik für den Anschlag in Aschaffenburg Ende Januar verantwortlich machte – und ankündigte, dagegen sofort etwas zu tun. Er brachte Anträge mit verschärften Maßnahmen im Bundestag ein und holte erstmals mit den Stimmen der AfD für einen davon, den Migrationsantrag, eine Mehrheit. Mit dem sogenannten Zustrombegrenzungsgesetz scheiterte er hingegen zwei Tage später. Seitdem sind in Berlin, München, Köln und vielen anderen Städten des Landes Hunderttausende Menschen gegen rechts und gegen die CDU auf die Straße gegangen.

Gutschmidt steht hinter diesen Forderungen, weil sie die Bevölkerung ihrer Ansicht nach schützen. „Merz handelt“, sagt sie, „jede Messerattacke ist eine zu viel.“ Und dass es „keine Brandmauer zu den Bürgern“ geben dürfe, „die angesichts der gescheiterten Asyl- und Migrationspolitik annehmen, AfD wählen zu müssen.“

Aktie.
Die mobile Version verlassen