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Woher stammt SARS-CoV-2? Sprang es auf dem Wildtiermarkt oder im Speziallabor in Wuhan auf den Menschen über? t-online sprach mit Virologe Jonas Schmidt-Chanasit.

In dieser Woche sorgte eine Recherche der „Süddeutschen Zeitung“ und der „Zeit“ für Aufsehen. Demnach kam der Bundesnachrichtendienst (BND) bereits 2020 zu der Einschätzung, dass ein Laborunfall in Wuhan die Corona-Pandemie ausgelöst hat. Seitdem steht der Vorwurf der Vertuschung im Raum, da Kanzlerin Merkel und andere Regierungsmitglieder offenbar über die Erkenntnisse informiert waren, sie aber nicht öffentlich kommunizierten. Mehr dazu lesen Sie hier.

Was steckt dahinter und wie plausibel ist die Theorie? t-online fragte den Virologen Jonas Schmidt-Chanasit.

t-online: Herr Schmidt-Chanasit, für wie plausibel halten Sie die Recherche?

Jonas Schmidt-Chanasit: Es ist nicht abwegig, dass der BND zu dem Ergebnis kam, dass die SARS-CoV-2 Pandemie durch einen Laborunfall hervorgerufen wurde. Man stellt sich natürlich die Frage, warum das so lange unter Verschluss gehalten worden ist. Bis heute gibt es zwei Thesen zur Entstehung des Virus, doch diese wurden nie gleichwertig diskutiert.

Zum einen, dass das Virus auf natürlichem Weg in China auf den Menschen übergesprungen ist, sehr wahrscheinlich über Zwischenwirte auf Wildtiermärkten. Die andere These besagt, dass es in einer chinesischen Forschungseinrichtung in der Stadt Wuhan, in der an Coronaviren geforscht wurde, zu einem Unfall gekommen ist und das Virus unbeabsichtigt in die Bevölkerung eingebracht wurde.

Und was glauben Sie, warum wurde das BND-Ergebnis – die Laborunfallthese – so lange unter Verschluss gehalten?

Diese Frage lässt sich aus wissenschaftlicher Sicht nicht beantworten. Eventuell spielen politische Fragen eine Rolle.

Jonas Schmidt-Chanasit (Quelle: IMAGO / teutopress)

Professor Jonas Schmidt-Chanasit ist Virologe an der Universität Hamburg. Er wurde durch seine medialen Auftritte während der Ebola- und Zikaausbrüche sowie der Covid-19-Pandemie bekannt.

Wie kann denn so ein Laborunfall passiert sein?

Das kann verschiedene Ursachen gehabt haben. Denkbar wäre zum Beispiel, dass man Coronaviren aus Fledermäusen im Labor in verschiedenen Zellkulturen isoliert hat, um diese dann zum Beispiel in Tierversuchen einzusetzen. Bei diesen Versuchen könnte es zu unbeabsichtigten Infektionen der Labormitarbeiter gekommen sein.

Wäre es denn theoretisch möglich, dass eine bei einem Laborunfall infizierte Person Tiere auf dem Wildtiermarkt angesteckt hat, die wiederum dann Menschen infizierten?

Ja, das ist denkbar, auch wenn die bisher verfügbaren Daten etwas anderes suggerieren. Allerdings muss man bei der Interpretation dieser Daten zurückhaltend sein, da sie nicht unabhängig und ohne den Einfluss chinesischer Wissenschaftler gewonnen wurden.

Bislang wurde die These eines Laborunfalls stets in die Richtung einer Verschwörungstheorie gerückt …

Das war leider so. Nun wissen wir aber, dass der BND sehr früh Hinweise für die Labortheorie hatte, das aber nicht kommuniziert wurde. Dadurch geht leider Vertrauen in die demokratischen Institutionen verloren, da ja insbesondere in Deutschland die Diskussion sehr einseitig, mit einer starken Fokussierung auf die Wildtiermarktthese, stattgefunden hat.

Wie kam es dazu, dass das nicht mehr diskutiert wurde?

China hat für die Entkräftung der Laborunfallthese nie belastbare Belege vorgelegt. Auf der anderen Seite müssten diese Belege eigentlich auch unabhängig von China generiert werden, was leider nicht möglich ist.

Für die Wildtiermarktthese haben chinesische Wissenschaftler Daten zur Verfügung gestellt. Allerdings stellt sich hier sofort die Frage der Befangenheit und wie belastbar eigentlich solche Daten sind, die nicht unabhängig gewonnen wurden. Meines Erachtens sind diese Daten nicht sehr belastbar. Also welche Intention könnte dahinterstecken, dass die Wildtiermarktthese besonders in den Vordergrund gerückt wurde?

Der Laborunfall als Ausgangspunkt hat ja auch eine hohe politische Sprengkraft …

Sicher, wir sprechen hier von Millionen Toten und enormen ökonomischen Schäden.

Nun ist es so, dass China im eigenen Land Informationen zensiert. Das erschwert eine Aufklärung natürlich, aber eigentlich gibt es in solch gravierenden Fällen ja meist eine Person, die irgendwann plaudert.

Ja, ein Whistleblower. In diesem Zusammenhang muss man sich schon fragen, warum die berühmteste Coronavirusforscherin Chinas, Shi Zhengli aus Wuhan, das Land seit Beginn der Pandemie nicht mehr verlassen hat oder verlassen darf.

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