Der Strand von Mon Repos wird jeden Sommer zur Bühne für ein einzigartiges Naturschauspiel: Hunderte Meeresschildkröten legen ihre Eier in den Sand.

Das kleine weiße Ei ist noch warm. Im Licht der Taschenlampe wirkt es wie ein Golfball, fühlt sich aber weich und feucht an. Vorsichtig hält die Rangerin es in ihrer Hand, während sie durch die Menge geht. Leises Raunen, ein staunendes „Oh“ und „Ah“ – die Menschen, die es berühren dürfen, sind fasziniert. Im Inneren wächst ein Lebewesen heran, das auf diesem Planeten immer seltener wird. Ein einzigartiger Moment.

Am Strand von Mon Repos hat sich eine Meeresschildkröte mühsam die Sanddüne hinaufgeschleppt. Ihre Spuren im Sand erzählen von einem kräftezehrenden Weg. Doch eine Pause gibt es nicht. Mit beeindruckender Entschlossenheit beginnt sie, eine tiefe Kuhle in den Sand zu schlagen – ihr Brutplatz für diese Nacht.

Die Besucher des Mon Repos Turtle Centre hatten geduldig den Erzählungen der Rangerin gelauscht. „Die Natur kennt keinen Fahrplan“, erklärte sie. Dieses Jahr sei der Saisonstart besonders vielversprechend – es gebe ungewöhnlich viele Sichtungen. Doch zunächst gilt es, Regeln einzuhalten: Die nistenden Schildkröten dürfen nicht im falschen Moment gestört werden. Es dauert noch eine Weile, gegen 20 Uhr erscheinen die ersten dunklen Silhouetten am Strand. In kleinen Gruppen werden die Wartenden nach draußen geführt.

Mon Repos ist die größte Brutstätte der Unechten Karettschildkröte an Australiens Ostküste. Rund 400 Kilometer nördlich von Brisbane, nahe der Küstenstadt Bundaberg, kommen hier zwischen November und Februar Hunderte Weibchen an Land, um ihre Eier abzulegen – bis zu 125 pro Nacht. Viele von ihnen sind selbst bei Mon Repos geschlüpft und kehren nach Erreichen der Geschlechtsreife mit 30 Jahren wieder an denselben Ort zum Nisten zurück. Hier schließt sich der Kreislauf.

Ab Januar kämpfen sich die winzigen Schlüpflinge aus dem Sand und begeben sich auf ihren gefährlichen Weg ins offene Meer. Nur eines von tausend wird das Erwachsenenalter erreichen.

Der Strand liegt in dunkler Stille, nur am Horizont flackern vereinzelte Lichter. Die Ranger knipsen ihre Kopflampen an, ihr sanftes Licht fällt auf die große Schildkröte. Atemlos verfolgen die Zuschauer, wie sie sich auf ihre frisch gegrabene Kuhle legt. Dann plumpst das erste Ei in den Sand. Dann das zweite, dritte, vierte… Die Zeit scheint stillzustehen.

Für einen kurzen Moment ist das Klicken der Kameras erlaubt. Die Ranger rücken näher, und vermessen das Tier. Sie bekommt den Namen „QB22807“, ihr Rückenpanzer ist 91 Zentimeter lang – und zum ersten Mal wird sie dieses Jahr hier dokumentiert.

Nur Minuten später hievt die Schildkröte sich erschöpft aus ihrer Grube und verschwindet in der Dunkelheit. Ihre Mission für diese Nacht ist erfüllt.

Jährlich reisen rund 30.000 Menschen nach Mon Repos, um das uralte Ritual der Schildkröten aus nächster Nähe zu erleben. Doch ihre Existenz ist bedroht – nicht nur durch natürliche Feinde, sondern vor allem durch menschliche Eingriffe: Plastikmüll, Meeresverschmutzung, die Auswirkungen der Klimakrise und die Fischerei fordern ihren Tribut. Schutzprogramme wie das Mon Repos Turtle Centre setzen alles daran, den Bestand zu sichern.

Problematisch sind etwa künstliche Lichtquellen an den Küsten: Sie können den natürlichen Kompass der Schildkröten stören und Jungtiere in die falsche Richtung lenken. Die Ranger erzählen, dass Jungtiere wohl einen angeborenen Instinkt haben. Wenn sie aus dem Nest schlüpfen, den Strand überqueren und auf das Wasser zusteuern, orientieren sie sich wahrscheinlich am hellsten Horizont. Die Weibchen orientieren sich bei der Suche nach ihrem Nistplatz dagegen am Magnetfeld der Erde. Veränderungen an ihren Niststränden wie Hotelanlagen oder Metallstrukturen können den natürlichen Kreislauf aus der Bahn werfen.

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