Der Aachener Rotlichtbezirk ist seit Jahren Streitthema. Zwei Architekten bieten jetzt eine außergewöhnliche Lösung an: einen Umzug aller Prostituierten auf ein Dach. Die Zuhälterrolle könnte die Stadt übernehmen.

Ein alter Mann läuft mit einem Rollator am Platz der Demokratie vorbei, nur wenige Meter Luftlinie von der Antoniusstraße, dem Aachener Rotlichtbezirk, entfernt. Früher, so sagt er, sei er dort ein guter Kunde gewesen: „Als es da noch schön war.“ Doch schön findet der ehemalige Freier den Aachener Rotlichtbezirk seit vielen Jahren schon nicht mehr, sondern traurig.

Die Antoniusstraße in Aachen ist ein ewiger Zankapfel. Seit Jahren versuchen Architekten, Politiker und die Stadtverwaltung, eine gute Lösung für alle zu finden: Anwohner, Prostituierte und Stadtbesucher. Einige fordern, dass das Rotlicht heraus muss aus der Innenstadt. Andere finden, das gehe zu weit.

Zuletzt war es ein Engländer, Chapman Taylor, der die Idee hatte, die Bordellbetriebe auf einen kleineren Teil der Straße zu konzentrieren und das umliegende Quartier durch diverse Maßnahmen aufzuwerten. Die Stadtverwaltung fasste daraufhin einen Plan, den sogenannten Bebauungsplan 999, der vor allem Schaffung von Wohnraum in dem Quartier vorsah.

Für kurze Zeit schien es eine Lösung für den ewigen Streit zu geben. Doch das Oberverwaltungsgericht Münster machte der Stadt Aachen einen Strich durch die Rechnung und stoppte die Pläne. Die Begründung: Wohnen und Prostitution, das gehe städtebaulich einfach nicht zusammen.

Aus dem Park am Büchel können Passanten und auch Kinder durch die Lücken des Zaunes einen Blick auf das Treiben im Rotlichtviertel erhaschen. (Quelle: Katrin Krause)

Dieses Urteil rief zwei andere Architekten, Martin Jochum und Kai Kleicker, mit einer ungewöhnlichen Idee auf den Plan: Man könnte doch das ganze Rotlichtviertel umziehen lassen, von der Straße auf ein Dach. Ein Dach, so hoch, dass die Prostituierten in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen könnten, ohne dabei von der Stadtbevölkerung gesehen zu werden.

Die Idee, irgendetwas mit den Flachdächern zu machen, hatte der Architekt Martin Jochum eigentlich schon lange. Seit 1975 ist er Inhaber einer Luftbildfirma. Mit Drohnen überfliegt er Straßen und imposante Gebäude in Aachen und Köln. Dabei ist ihm eines immer wieder aufgefallen: In den Innenstädten steht zwar alles dicht an dicht, aber oben auf den Flachdächern ist eine Menge Platz. „Ungenutztes Potenzial“, sagt der Architekt dazu.

Aachener meiden meistens die Straßen, die die Antoniusstraße kreuzen. (Quelle: Katrin Krause)

Besonders viel „ungenutztes Potenzial“ gibt es in Aachen auf dem Horten-Haus, einem riesigen ehemaligen mehrstöckigen Kaufhaus, in dem früher einmal das „Lust for Life“ war. Seit Jahren steht der riesige Klotz mitten in der Innenstadt leer. Die Wände sind mit Graffitis beschmiert, der Putz bröckelt.

Für die Stadt Aachen war es Zeit, zu handeln – und das Horten-Haus zurückzukaufen, für etwa 100 Millionen Euro. In ein „Haus der Neugier“ will sie es jetzt verwandeln. Das bedeutet konkret: In dem Haus sollen künftig die Volkshochschule und die Stadtbibliothek untergebracht werden.

Und als all diese Ereignisse zusammenfielen – die Entdeckung der Flachdach-Potenziale, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster und die Planung um den städtischen Kauf des Horten-Hauses – war für die Architekten Jochum und Kleicker klar, auf welches Dach das Aachener Rotlichtviertel umziehen könnte.

Ein Penthouse mit Rundlauf könnte man auf das Dach setzen, sagt Kai Kleicker. Groß genug dafür wäre es allemal – nämlich etwa 94 mal 40 Meter. Es könnte genau so funktionieren wie die Antoniusstraße, nur oben auf dem Dach. Die Frauen hätten alle ihre eigenen Kabinen, und rund um die herum könne man Büsche und Hecken pflanzen. Der Vermieter des Ganzen könnte dann die Stadt Aachen werden, der das Haus dann ja gehöre, ergänzt Jochum. Das bringe der Stadt auch einiges an Einnahmen. Und den Frauen mehr Sicherheit. „Unten an den Eingang setzen wir dann einfach einen bulligen Sicherheitsmann mit Schäferhund, der die Leute kontrolliert“, sagt Jochum und lacht.

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