Grauer Himmel, Pulloverwetter: Der Sommer will dieses Jahr noch nicht so recht. Dabei hieß es doch gerade erst, die Nordsee sei so warm wie nie. Wo ist der Fehler?

Der astronomische Sommerbeginn in Deutschland ist gerade ereignislos verstrichen. Statt Wärme beschert das Wetter den Menschen im Land gefühlten Dauerregen.

Und der Blick aufs Thermometer offenbart: Die ersten Julitage sind im Vergleich zum langjährigen Mittel deutlich zu kalt. In Dresden liegen die Temperaturen bisher 3,8 Grad unter dem Schnitt der Jahre 1991 bis 2020, in Hamburg ist es 4 Grad kühler und in Frankfurt am Main sogar 4,5 Grad.

Dabei wurden doch auch in diesem Jahr laufend Wetterrekorde in die andere Richtung verkündet. Passt das kalte Wetter im Augenblick noch zusammen mit dem Klimawandel? t-online hat den Klimaexperten Mojib Latif gefragt.

t-online: Herr Latif, es ist Sommer und Deutschland trägt Pullover …

Mojib Latif: Ja, ich friere auch gerade. Ich bin in Hamburg und es sind nur 13, 14 Grad.

Das ist für einen Juli doch ziemlich kalt. Ist der Klimawandel jetzt etwa ausgebremst oder kommt einem das nur so vor?

Das erscheint bloß so. Man darf nicht vergessen: Die globale Erwärmung ist ein schleichender Prozess über viele Jahrzehnte. Und das Wetter verläuft chaotisch. Es gibt immer kurzfristige Schwankungen, und was wir gerade erleben, ist eine solche Schwankung. Wenn es einmal an einem Ort etwas kälter ist, heißt das nicht, dass der Klimawandel eine Pause macht.

Gerade erst vor einigen Wochen wurde gemeldet, die Nordsee erwärme sich „wie eine große Pfütze“. Warum ist es dann in Hamburg trotzdem so kalt? Hat das warme Wasser gar keinen Einfluss auf die Temperatur an Land?

Die Weltmeere insgesamt sind so warm wie nie zuvor. Aber im Moment erleben wir in Deutschland eine Großwetterlage, in der wir von noch weiter nördlich sehr viel Kaltluft bekommen. Da reicht die warme Nordsee nicht aus, um das noch einmal aufzuheizen. Wir dürfen Wetter und Klima nicht miteinander verwechseln. In der Meteorologie heißt es: Klima ist das, was wir erwarten. Wetter das, was wir bekommen.

Zuschauer suchen beim Public Viewing Schutz vor dem Regen im Solimare Freibad in Moers: Mit gutem Wetter wurde das EM-Publikum bisher eher selten verwöhnt. (Quelle: Stoffel/Funke Foto Services/imago-images-bilder)

Statt schönem Sommerwetter bekommen wir gerade Regen, Regen und noch einmal Regen. Hat das vielleicht etwas mit den warmen Meeren zu tun?

Nur mittelbar. Die heftigen Niederschläge vor ein paar Wochen in Süddeutschland hingen mit Luftmassen zusammen, die sich über dem aufgeheizten Mittelmeer entwickelt hatten. Diese konnten sich extrem mit Wasser anfüllen, was letztlich hier zu Starkregen führte. So etwas sehen wir in den vergangenen Jahrzehnten immer häufiger.

Aber was wir gerade erleben, hat nichts mit den Weltmeeren zu tun. Das ist einfach Wetter – und Wetter ist eben sehr veränderlich.

Frauen mit Regenponchos in der Münchner Fußgängerzone: Fieses Wetter im Juli 2024. (Quelle: Wolfgang Maria Weber/imago-images-bilder)

Selbst wenn die Nord- und die Ostsee nicht so warm wären, wie sie es gerade sind, könnte es trotzdem zu genau den gleichen Regenfällen kommen. Die Luft kommt aktuell aus höheren Breiten zu uns. Und wenn wir diese Kaltluft anzapfen, bekommen wir dieses Schauerwetter.

Wie sieht es gerade in anderen Ländern aus?

Wenn wir weiter in den Süden blicken, zum Beispiel in den Mittelmeerraum: Da ist es extrem heiß, bis 40 Grad. Und in anderen Weltregionen auch. Gerade fangen die Waldbrände an, etwa in Kalifornien oder auf den griechischen Inseln.

Mojib Latif bei Anne Will 2023-01-15, Deutschland, Berlin – Prof. Dr. Mojib Latif, Meteorologe, Ozeanograph, Klimaforscher und Hochschullehrer, Seniorprofessor der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR), Präsident der Deutschen Gesellschaft Club of Rome sowie Präsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg, zu Gast bei Anne Will im Ersten. Thema des ARD-Politiktalks: Kampf um Lützerath – Zerreißprobe für die deutsche Klimapolitik? *** Mojib (Quelle: IMAGO/Jürgen Heinrich/imago)

Prof. Dr. Mojib Latif zählt zu Deutschlands führenden Klimaforschern. Der promovierte Ozeanograf ist Präsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg und einer der gefragtesten Experten bei Fragen rund um das Klima.

Wir in Deutschland sind im Moment so etwas wie der Kältepol Europas. Selbst in Teilen Skandinaviens ist es wärmer. Wir haben derzeit einfach Pech, das wird aber nicht so bleiben: Ich bin mir sicher, dass es in diesem Jahr auch wieder heiße Tage geben wird.

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