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Kann man Pazifist sein und zugleich für Waffenlieferungen? Reinhold Beckmann ringt angesichts solcher Fragen mit sich. Ein Gespräch über Krieg und Frieden.

Seit rund 40 Jahren ist Reinhold Beckmann dem deutschen TV-Publikum als feste Fernsehgröße bekannt. Doch der Moderator, Produzent und Journalist hat sich vor einigen Jahren in ein neues Metier gewagt – und ein Buch über seine Familiengeschichte geschrieben. Der bewegende Roman „Aenne und ihre Brüder“ ist daraus entsprungen, der nun, anlässlich des 80. Jahrestags des Kriegsendes als Taschenbuch erscheint.

Mit t-online hat Reinhold Beckmann zu diesem Anlass über die Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg, die neue Sicherheitslage in Europa und die AfD gesprochen, die er längst verboten hätte. Doch auch persönlich gewährt der 69-Jährige Einblicke, die zeigen: Reinhold Beckmann reagiert in manchen Belangen sehr emotional.

t-online: Herr Beckmann, Sie haben für Ihren Antikriegsroman „Aenne und ihre Brüder“ in den vergangenen 18 Monaten fast 100 Lesungen absolviert. Wie erleben Sie die Reaktionen des Publikums – insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Weltlage?

Reinhold Beckmann: Die Resonanz hat mich ehrlich gesagt überrascht. Ich hätte nie gedacht, dass dieses Buch so viele Menschen berührt. Natürlich spielt dabei auch der schreckliche Krieg in der Ukraine eine Rolle. Aber es gibt noch einen anderen Grund.

In vielen Familien gibt es ähnliche Schicksale, über die nie gesprochen wurde. Ich merke das besonders beim Signieren der Bücher – die Leute erzählen mir, dass ihre Eltern oder Großeltern geschwiegen haben. Meine Mutter hingegen hat geredet. Ich bin ihr unendlich dankbar, dass sie uns ihre Geschichte erzählt hat.

Ihre Mutter ist 2019 im Alter von 98 Jahren gestorben. Wie sehr vermissen Sie sie?

Sehr. Ich wünschte, sie könnte erleben, welch große Wirkung ihre Geschichte im Nachhinein entfaltet.



Auf den letzten Metern meines Lebens ergreife ich nicht die Flucht. Stattdessen kann ich jetzt umso lauter kritisieren.


reinhold beckmann


Ihr Buch ist ein Mahnmal gegen das Vergessen. Warum ist das gerade heute so wichtig?

Die Generation, die den Zweiten Weltkrieg erlebt hat, ist fast nicht mehr da. Es liegt nun an uns, ihre Geschichte weiterzuerzählen. Ich merke bei den Lesungen, dass auch viele junge Menschen interessiert sind – oft bringen sie ihre Eltern oder Großeltern mit. Es gibt ein Bedürfnis zu verstehen, wie es damals möglich war, dass die Nazis an die Macht kamen.

Aber ist das nicht schon sehr häufig erzählt worden – und immer wieder Teil des Geschichtsunterrichts an den Schulen?

Meist wird die Geschichte aus der Perspektive Berlins erzählt. Mir war es wichtig, sie aus der Sicht eines ganz normalen Dorfes zu schildern – einer katholischen Gemeinde, die anfangs mit den Nazis nichts zu tun haben wollte, bis sie schließlich doch vereinnahmt wurde.

Tatsächlich thematisieren Sie die Rolle der Kirche im Nationalsozialismus auf interessante Art und Weise. Welche Verantwortung hatte sie?

Die Kirche hätte widerständig sein können, aber sie hat sich früh den Nazis angenähert. Das versuche ich am Beispiel von Bischof Berning aus Osnabrück zu verdeutlichen, der Hitler und Goebbels regelrecht hofierte. Dabei hätte die katholische Kirche mit ihren in sich geschlossenen Gemeinden großes Potenzial gehabt, sich gegen die Nazis zu stellen. Das hat sie leider nicht genutzt.

Sie selbst sind trotz aller Skandale in der katholischen Kirche geblieben. Warum?

Manchmal frage ich mich das auch. Nach all den Verfehlungen hätte ich 100-mal austreten müssen. Aber ich denke mir: Auf den letzten Metern meines Lebens ergreife ich nicht die Flucht. Stattdessen kann ich jetzt umso lauter kritisieren.

Reinhold Beckmann mit seiner Mutter Aenne (Quelle: Privat)

Ihr Buch zeigt viele Parallelen zur heutigen Zeit. Die Demokratie in der Weimarer Republik war geschwächt, die Menschen desillusioniert – ähnlich wie heute, wo rechtsextreme Parteien Zulauf haben. Sehen Sie diese Gefahr auch?

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