187 Abgeordnete von CDU und CSU beschließen mit der AfD eine Verschärfung der Migrationspolitik. Eine einzige Frau aus der Fraktion stellte sich dagegen. Sie wird nicht mehr lange im Bundestag sein.
Sie hat auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle 2015 selbst einen alleinreisenden Minderjährigen aufgenommen – und jetzt stimmte Antje Tillmann (60) als einzige Abgeordnete der CDU gegen Friedrich Merz‘ Antrag zur Migration, der mit AfD-Stimmen eine Mehrheit holte. Wer ist die Frau, die sich widersetzte – und wie geht es für sie weiter?
Es war kein Geheimnis, dass Antje Tillmann nicht glücklich ist mit dem, was Friedrich Merz nach dem Verbrechen von Aschaffenburg in Gang gesetzt hat und auch mit den Stimmen der AfD durchbringen will: In der Sitzung des Fraktionsvorstands am Montag hatte sie vor den Folgen einer Mehrheit mit der AfD gewarnt, erzählten Teilnehmer dem „Stern“. Dem Fraktionsvorstand mit Merz gehört sie schon seit 2009 an, Tillmann ist auch finanzpolitische Sprecherin. Sie gilt als Fachfrau auf ihrem Gebiet. Sie hat die Schuldenbremse maßgeblich mit ausgearbeitet.
Nach ihrem einsamen Nein zollt ihr ein Finanzpolitiker der Grünen Respekt, der im Finanzausschuss oft ganz anderer Meinung war: „Aber ich bewundere ihren Mut, als einziges Mitglied ihrer Fraktion offen gegen die Zusammenarbeit mit der AfD zu stimmen“, kommentierte der Abgeordnete Sebastian Schäfer auf X. Und Katrin Göring-Eckardt schrieb einfach nur: „Danke Antje Tillmann.“
Göring-Eckardt hatte als Vizepräsidentin des Bundestags die Sitzung geführt und das Ergebnis verkündet: 348 Stimmen hatten zugestimmt, eine Mehrheit. 75 AfD-Abgeordnete, 80 Angehörige der FDP-Fraktion sowie 6 fraktionslose Abgeordnete hatten mit 187 Abgeordneten von CDU und CSU ein Ja abgegeben. Die große Ausnahme: Antje Tillmann.
Von der CDU in ihrer Wahlheimat Erfurt ist Tillmann gerade erst für ihr politisches Werk auf dem Kreisparteitag gewürdigt worden. Schon mit 14 hatte sie an einem Gymnasium in Nordrhein-Westfalen eine Schülerunion gegründet. 1993 kam sie für eine Stelle im Finanzministerium nach Erfurt und engagierte sich auch da in der Politik. „Für unglaubliche 22 Jahre Einsatz und Engagement für Erfurt, Thüringen und Deutschland“ dankten die Mitglieder an der Basis ihr. Die Partei spricht von einem „bewegenden Moment“. Tillmann kündigte im September an, nicht noch einmal für den Bundestag zu kandidieren. Dem neu gewählten Parlament wird sie nicht angehören.
Das heißt auch: Tillmann muss nicht mehr so viel Rücksicht nehmen wie andere Abgeordnete ihrer Partei, die auch dem nächsten Bundestag angehören wollen. Sie muss auch keine „Rache“ fürchten – über die in sozialen Netzwerken schon spekuliert wurde. Marco Wanderwitz, der sächsische Abgeordnete, der den Antrag auf ein AfD-Verbot initiiert hat, tritt auch nicht mehr an. Seine Stimme hatte bei der Abstimmung gefehlt, wie die von sieben weiteren Abgeordneten der Unionsfraktion.
„Ich bleibe ein politischer Mensch“, erklärte Tillmann in einem Gastbeitrag der „Thüringischen Landeszeitung“. Dort nahm sie auch Stellung im Hinblick auf Flüchtlinge und das Jahr 2015: „Viele sehen hier vorrangig die tatsächlich auch existierenden Probleme, insbesondere die Gewalttaten“, schrieb sie. „Trotzdem ist 2015 eine Erfolgsgeschichte: Aktuelle Zahlen zeigen, dass von den nach Deutschland geflüchteten Syrern über 60 Prozent erwerbstätig sind, bei den Männern sogar 85 Prozent.“ Tillmann ist als Unterstützerin bei „Weltoffenes Thüringen“ aufgeführt, einer Aktion des MigraNetz Thüringen e. V., einer Organisation von Migranten.
Deutschland solle vorsichtig sein mit pauschalen Rückführungsforderungen, schrieb sie in dem Gastbeitrag. Sie kann das aus dem eigenen Erleben schildern: Abdul aus Syrien, der 2015 mit 15 Jahren alleine nach Deutschland kam und den Tillmann bei sich aufgenommen und die Vormundschaft übernommen hat, macht heute eine Meisterausbildung zum Industriemechaniker. Abdul erhielt Unterstützung.
Das war ihre Botschaft schon 2016 in einem Text der „Bild“, der den Flüchtling und seine neue „Mutter“ aus der deutschen Politik vorstellte. „Unabhängig von der Frage, wie viele Menschen wir in Deutschland aufnehmen können, müssen wir uns um die, die hier sind, intensiv kümmern.“