Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer verteidigte Nord Stream 2 beharrlich. Bis heute hofft er auf Gaslieferungen aus Russland. Nun belegt Schriftverkehr die Lobbyarbeit der staatlichen russischen Gashändler.

Staatliche russische Energiekonzerne haben jahrelang bei Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) lobbyiert. Das geht aus Dokumenten der Staatskanzlei hervor, die t-online vorliegen. Demnach schickte vor allem die Nord Stream 2 AG immer wieder Informationen zum gegenwärtigen Stand des Gasmarkts, des Pipelinebaus und der drohenden Sanktionen. Ein persönliches Treffen mit Gazprom-Chef Alexej Miller kam allerdings entgegen anderslautender Pläne der Staatskanzlei nicht zustande.

Wie mit den Schreiben in Sachsen verfahren wurde, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Das Sächsische Transparenzgesetz lässt – im Unterschied zu Informationsfreiheitsgesetzen anderer Bundesländer – nicht zu, interne Kommunikation offenzulegen. Einige Passagen sind deswegen geschwärzt.

So ist unklar, ob die Korrespondenz eine Wirkung bei Kretschmer erzielte, der über Jahre für die Abschaffung der Russlandsanktionen und die Fertigstellung der Gaspipeline Nord Stream 2 eintrat. Trotzdem erlauben die nun vorliegenden Dokumente einen Einblick in die Bemühungen der Konzerne, Einfluss auf die sächsische Regierungsarbeit zu nehmen.

Der Brief von Gazprom

Alles begann 2018, etwa ein halbes Jahr nach Amtsantritt des damals neuen Ministerpräsidenten, als ein an Kretschmer persönlich adressiertes Schreiben von Gazprom Export in der sächsischen Staatskanzlei einging. Die Gazprom-Tochter erlangte später nach Beginn des Ukraine-Krieges Bekanntheit, als Russland versuchte, ihre Gesellschaftsanteile an Gazprom Germania in ein Briefkastenunternehmen zu verschieben. So wollte sie Gazprom Germania dem Zugriff durch den deutschen Staat entziehen, wie t-online exklusiv berichtete. Das Manöver wurde eilig vom Bundeswirtschaftsministerium vereitelt.

Im Juni 2018 bedankte sich Gazprom Export bei Kretschmer für seine Unterstützung der damals im Bau befindlichen Eugal-Pipeline, die mittlerweile durch Sachsen führt und für den Transport russischen Erdgases von Mecklenburg-Vorpommern bis in die Tschechische Republik geplant wurde.

Der „rechtzeitige Erhalt aller notwendigen Genehmigungen und Zulassungen“ sei eine der grundlegenden Voraussetzungen für die Realisierung von Infrastrukturprojekten, heißt es im Schreiben, weswegen Gazprom Export freundlich Kretschmers weitere Unterstützung erbitte. Jede Verzögerung könne die Entwicklung des deutschen Energiemarkts gefährden.

Etwa ein Jahr später forderte Michael Kretschmer die Abschaffung der aufgrund der Krim-Annexion verhängten Sanktionen gegen Russland, als er nach St. Petersburg flog und Kremlchef Wladimir Putin beim dortigen Wirtschaftsforum traf.

Die Mails der Nord Stream 2 AG

Im April 2020 nahm dann die Überzeugungsarbeit der Nord Stream 2 AG Fahrt auf. Damals sahen sich das Unternehmen und ihre Auftragnehmer wachsendem Druck aus den USA ausgesetzt. Mit Sanktionen wollten US-Senatoren und die Regierung in Washington den Weiterbau der Pipeline verhindern, da sie die Energiesicherheit Europas gefährdet sahen. Während viele europäische Staaten diese Auffassung teilten, hielt Deutschland eisern an dem Projekt fest.

Nord Stream 2 stärke laut einem Gutachten die Versorgungssicherheit, heißt es in der E-Mail, die Kretschmer zuging. „Befürchtungen, dass die Pipeline die Sicherheit der Gasversorgung und die Marktpreisbildung in anderen Ländern (…) beeinträchtigen könnte, sind unbegründet.“ Vor allem in den kommenden Monaten, in denen parallel auch starke Lobbyarbeit in Mecklenburg-Vorpommern betrieben wurde, gingen weitere Schreiben ein.

Im Mai 2020 klärte die Nord Stream 2 AG die Staatskanzlei über die vermeintliche „amerikanische LNG-Diplomatie“ auf, die auf eine „Energiedominanz“ der USA abziele. „US-Sanktionen gegen für Nord Stream 2 arbeitende Verlegeschiffe (…) sind ein Element dieser Politik“, heißt es. Auch die Änderung der EU-Gasrichtlinie sei „in diskriminierender Weise gegen Nord Stream 2 ausgerichtet“ – während Polen durch die neue Baltic Pipeline und ein LNG-Terminal in Swinemünde zum Netto-Importeur für seine Nachbarländer werde.

„Angriff auf europäische Souveränität“

Eine Woche später legte Nord Stream 2 nach und Wert auf die Feststellung, dass die damals recht günstigen Preise für LNG nach der Corona-Pandemie wieder ansteigen würden. „Die EU befindet sich in der glücklichen Lage, über Pipeline-Verbindungen zu Förderländern wie Russland und Norwegen zu verfügen.“

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