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München ist die Stadt der Reichen und Schönen. Trotzdem gibt es hier viele Menschen, die auf der Straße leben. Ein Verein versucht, sie so gut es geht zu unterstützen.

Kurz vor 10 Uhr am Sonntag ist in Schwabing viel los. Auf dem Bürgersteig vor dem Feinkostladen „Käfer“ warten Menschen mit großen Tüten. Doch anders, als das schicke Viertel rund um die Haltestelle Münchner Freiheit vermuten lässt, sind sie nicht hier, um Feinkost einzukaufen. Statt Delikatessen bekommen sie jeden Sonntag von den freiwilligen Helfern des Vereins „Aktion Brücke“ gerettete Lebensmittel. Der Großteil von ihnen ist obdach- oder wohnungslos.

Der Ort für die Essensausgabe wurde nach speziellen Kriterien ausgewählt, wie Anja Sauer, Vorsitzende des Vereins, erklärt. Gute Erreichbarkeit und die Nähe zu einer U-Bahnstation spielen eine Rolle. Dass der Treffpunkt direkt vor dem Feinkostladen liegt, ist laut Sauer purer Zufall – und dennoch macht es den extremen Kontrast zwischen Arm und Reich in München einmal mehr deutlich. Laut einer Studie der Stadt aus dem Jahr 2024 gibt es in München rund 550 Obdachlose. Im deutschlandweiten Vergleich sei diese Zahl laut Sozialreferentin Dorothee Schiwy „sehr niedrig“. Trotzdem gibt es sie – und sie brauchen Unterstützung.

Als der Transporter samt Essen mit etwas Verspätung auf den Gehweg der Leopoldstraße fährt, wird die wartende Menge unruhig. Die Menschen beginnen bereits, sich in einer Schlange aufzustellen. Jeder möchte, wenn möglich, der Erste sein, um bei der Essensausgabe noch die größte Auswahl zu haben. Absperrbänder, wie man sie vom Flughafen kennt, helfen dabei, dass sich die Leute geordnet anstellen. Aus den Kisten mit Obst, Gemüse, Brot, Süßigkeiten und Wurst dürfen die Menschen wählen, was sie möchten. Besonders beliebt sind Tomaten. „Die kann man auch ohne Küche oder ohne Zähne essen“, sagt der freiwillige Helfer Adrian.

Bei der Lebensmittelausgabe müssen sich die Menschen in einer Schlange anstellen und ihren Ausweis vorzeigen. (Quelle: Aktion Brücke e.V.)

Während der Essensausgabe gilt: Nur darauf zeigen ist erlaubt, angefasst werden die Lebensmittel ausschließlich von den Freiwilligen, die aus Hygienegründen Einweghandschuhe tragen. Die Menschen halten dankbar ihre Tüten auf. Als diese sich nach und nach mit Lebensmitteln füllen, huscht so manchem ein Lächeln über das Gesicht. Immer wieder versucht jemand, die Schlange, die inzwischen einige Meter lang ist, zu umgehen. Doch die Helfer bleiben konsequent: Bitte hinten anstellen, wiederholen sie immer wieder.

Neben Lebensmitteln und Textilien bietet der Verein den Menschen Hilfsgüter, Hygieneartikel, Getränke, warme Mahlzeiten sowie Kaffee und Kuchen an. Die Lebensmittel werden von Supermärkten, Metzgereien und Bäckereien gespendet. „100 Liter fertiges Essen steuert die Kantine der Allianz bei, weitere 280 Liter kochen wir selbst“, erzählt Sauer.

Der Wohlstand der Stadt macht sich auch bei den Kleiderspenden bemerkbar, unter denen immer wieder bekannte Marken zu finden sind. „Ich höre ganz oft, wie die Leute sagen: ,Die tragen ja Nike-Schuhe, das kann nicht mal ich mir leisten.‘ Dabei sind das ganz oft Spenden“, sagt Sauer.

Besonders Frauen möchten nicht, dass man ihnen die Obdachlosigkeit ansieht, weiß Anja Sauer vom Verein. Deshalb sieht man auch obdachlose Frauen mit Gelfingernägeln oder Make-up – Überbleibsel ihres vorherigen Lebens. Und weil Sauer weiß, dass die Menschen immer noch sehr auf ihr Äußeres achten, sortieren sie und ihr Team bei der Spendenannahme sorgfältig aus. Kleidungsstücke, die kaputt oder nicht mehr tragbar sind, die so aussehen, dass man sie selbst nicht mehr anziehen würde, werden nicht weitergegeben. „Wir wollen ihre letzte Würde wahren“, so Sauer.

  • Wie Sie einen Obdachlosen von einem Bettler unterscheiden, lesen Sie hier.

Ihr Klientel unterteilt die Vereinsvorsitzende in vier Gruppen: Obdach- und Wohnungslose sowie Suchtkranke und Substituierte (Substitution bedeutet Ersatz oder Ersetzung. In der Behandlung Heroinabhängiger ist die Substitution von Heroin mit anderen Opioiden ein gängiges Suchthilfeangebot). Sauer und die anderen Helfer sind bekannte Gesichter für die Menschen, die hier wöchentlich vorbeikommen. Die Beziehung, die sie zu ihnen aufgebaut haben, ist wichtig: „Die Leute kennen uns und wissen, dass sie uns vertrauen können“, sagt die Vereinsvorsitzende. Teilweise sind sich Freiwillige und Hilfsbedürftige so nah, dass sie sich zur Begrüßung umarmen. Für die Menschen seien diese Treffen auch deshalb so besonders, „weil sie wissen, dass wir uns Zeit für sie nehmen und ihnen zuhören“.

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