Jeden Tag beantwortet ein Experte aus der t-online-Ratgeberredaktion eine Leserfrage rund ums Geld. Heute: Kann man den Totalverlust einer Anleihe steuerlich geltend machen?
Anleihen gelten als relativ sichere Geldanlage, denn die Kursschwankungen von Anleihen sind im Schnitt geringer als die von Aktien. Doch was passiert, wenn der Emittent – also der Herausgeber der Anleihe – insolvent wird? Dann kann das Papier komplett wertlos werden. In diesem Fall spricht man von einem Totalverlust.
Anleger verlieren also ihr eingesetztes Kapital, doch immerhin erlaubt das Steuerrecht, diesen Verlust steuerlich geltend zu machen. Wann und wie das funktioniert, regelt das Einkommensteuergesetz (§ 20 EStG). Dabei kommt es auf Details an.
Bis Ende 2024 war es für Privatanleger kaum möglich, einen Totalverlust in voller Höhe steuerlich abzusetzen. Denn seit 2020 galt: Solche Verluste durften nur bis zu 20.000 Euro pro Jahr mit anderen Kapitalerträgen wie Zinsen oder Dividenden verrechnet werden. Alles, was darüber hinausging, mussten Sparer in die Folgejahre vortragen.
Schon immer ausgeschlossen ist es, Verluste aus Kapitalerträgen mit anderen Einkunftsarten, etwa mit Gehalt oder Mieteinnahmen, zu verrechnen. Wer also beispielsweise 50.000 Euro mit einer gescheiterten Anleihe verloren hat, musste mehrere Jahre warten, um diesen Verlust steuerlich geltend machen zu können.
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Mit dem Jahressteuergesetz 2024, veröffentlicht am 5. Dezember 2024, hat die Bundesregierung diese Beschränkung rückwirkend aufgehoben. Das bedeutet: Für alle noch nicht bestandskräftigen Steuerbescheide dürfen Sie Verluste aus wertlos gewordenen Anleihen jetzt unbegrenzt mit Kapitalerträgen aus Zinsen, Dividenden, Aktienverkäufen oder Erträgen aus Fonds, Zertifikaten oder Termingeschäften verrechnen.
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Sollten Sie in einem Steuerjahr nicht genug Kapitalerträge erzielt haben, um den vollen Verlust aus einer Anleihe zu verrechnen, können Sie den nicht genutzten Teil des Verlustes unbegrenzt in Folgejahre mitnehmen; aber auch hier wieder nur zur Verrechnung mit Kapitalerträgen, nicht mit anderen Einkunftsarten.
Das ist eine deutliche Erleichterung für viele betroffene Anleger, die in der Vergangenheit auf Verlusten sitzen geblieben sind. Die Regelung gilt sowohl für ausgefallene Anleihen als auch für andere wertlose Wirtschaftsgüter im Sinne des § 20 EStG, etwa Aktien oder Zertifikate.
Zwar ist die gesetzliche Änderung bereits in Kraft, doch bei der praktischen Umsetzung gibt es Übergangsfristen: Die depotführenden Banken müssen die neue Regelung erst ab dem 1. Januar 2026 beim Abzug der Kapitalertragssteuer berücksichtigen.
Bis dahin bleibt es bei der bisherigen Praxis: Wertlose Anleihen werden zwar auf der Steuerbescheinigung ausgewiesen, aber nicht automatisch in den Verlustverrechnungstopf aufgenommen. Das bedeutet: Anleger müssen den Verlust selbst in ihrer Steuererklärung geltend machen. Nur so kann das Finanzamt den Betrag korrekt mit anderen Kapitalerträgen verrechnen. Erfahren Sie hier mehr zum Thema: Gewinne und Verluste in der Anlage KAP in der Steuererklärung eintragen.
Darauf sollten Anleger achten: Wer eine Unternehmensanleihe gekauft hat, die aufgrund von Zahlungsschwierigkeiten des Unternehmens oder einer Insolvenz wertlos geworden ist, gerät in eine Grauzone. Der Verlust steht im Raum, lässt sich aber nicht sofort geltend machen.
Denn: Laut aktueller Rechtslage erkennt das Finanzamt einen Verlust erst dann an, wenn er tatsächlich eingetreten und nicht mehr reversibel ist. Bei Anleihen bedeutet das: Ein Forderungsausfall ist steuerlich erst dann absetzbar, wenn endgültig feststeht, dass es keine Rückzahlung mehr geben wird. Die bloße Eröffnung eines Insolvenzverfahrens reicht dafür nicht aus, denn es könnte noch zu Teilauszahlungen oder Sanierungsmaßnahmen kommen.
Das Problem: Zwischen Insolvenzverfahren und endgültigem Forderungsausfall vergehen oft Jahre. In dieser Zeit sitzt der Anleger auf einem faktischen, aber steuerlich noch nicht anerkannten Verlust. Für viele bedeutet das eine erhebliche finanzielle Belastung. Wer in der Steuererklärung den Verlust frühzeitig geltend machen möchte, wird häufig auf Widerstand des Finanzamts stoßen – denn solange noch Aussicht auf Rückzahlung besteht, lehnt die Verwaltung den Verlustabzug ab.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in mehreren Urteilen klargestellt: Der endgültige Ausfall einer Kapitalforderung – etwa wenn das Unternehmen gelöscht und das Depot bereinigt wurde – ist dem Einkommensteuergesetz zufolge als Verlust steuerlich absetzbar. Auch Entschädigungen wegen fehlerhafter Anlageberatung können steuerlich relevant sein. Trotzdem bleibt offen, wann genau der „endgültige Ausfall“ vorliegt – eine Beurteilung, die häufig zu Streit mit dem Finanzamt führt.